Dienstag, 14. Mai 2024

Nachlese 2024

 Der ESC 2024 liegt hinter uns, und normalerweise würde ich jetzt hier jeden einzelnen Beitrag sezieren und gucken, was gut war und was nicht. In diesem Jahr möchte ich gern davon Abstand nehmen. Zu viel ist drumherum passiert, über das wir reden sollten. 

Ich möchte mich hiermit bei allen entschuldigen, denen meine Blitznachlese vom zweiten Semi zu halbherzig geraten ist. Das liegt daran, dass sie auch halbherzig geschrieben wurde. Zu dem Zeitpunkt ist die Situation bereits munter eskaliert, und in den Stunden danach bis zum Finale hat sich auch nichts beruhigt. Ich saß hier vor diesem Blog und fragte mich, was ich da eigentlich gerade mache.

So gesehen war es ein Wunder, dass das Finale bis auf die Buhrufe gegen Israel (und gegen Martin Österdahl) dann doch halbwegs friedlich über die Bühne gegangen ist. Davon war in den 48 Stunden davor nicht unbedingt auszugehen. Jetzt muss man gucken, wie es weitergeht.

Statt einer Nachlese möchte ich hier ein paar offene Briefe schreiben, die ich im Laufe der Woche hier veröffentlichen werde.

7 Kommentare:

wüster Volker hat gesagt…

Ich freu mich drauf!

Zwelfbungt - Lucas hat gesagt…

Hallo liebe Tamara,

erst einmal danke für den Riesenaufwand, den du dir mit deiner Nachbesprechung für den diesjährigen ESC gemacht hast. Ich finde es etwas traurig, dass dich das Ganze so sehr in Rage versetzt hat. Der ESC sollte ein Highlight des Jahres sein, bei dem man sich freut. Irgendwo kann ich deinen Frust aber auch verstehen.

Ich persönlich war selbst in Malmö vor Ort und möchte, so egoistisch das jetzt klingen mag, von mir selbst sagen, dass ich mich zum Großteil passend verhalten habe. Ich habe nicht während Israel gebuht und war in der Fraktion der Leute, die dezent geklatscht haben. Im Finale habe ich mir mitten im Song allerdings die rechte Hand ins Gesicht gehalten und Schuld gefühlt, als die Buhrufe immer lauter wurden. Es war unangenehm, ich wollte einfach nur, dass es rumgeht und war den Produzenten fast schon dankbar, dass sie Israel auf die 6 gesteckt haben. Spätestens ab Spanien überwog dann wieder die Freude (sorry, Silvester!).

Insgesamt denke ich, dass man in Israel mit dem Ergebnis zufrieden ist. Man wurde von der EBU nicht ausgeschlossen, sprich, man hatte die Bühne, sich zu präsentieren, ist in die Top 5 gekommen, wurde vor allem durch die Televoter Europas entgegen aller negativer Stimmen gestärkt und mitbekommen, dass die Televoter wollen, dass Israel weiterhin teilnehmen darf.

Natürlich verstehe ich deinen Ärger über die Jurys. Ich sehe es etwas differenzierter: Das zu hohe Televoting wurde durch ein zu niedriges Juryvoting ausgeglichen und trotzdem kam ein guter Platz bei rum. Die Jurys mögen vielleicht hier eher als Korrektiv denn als Sachverständige agiert haben, mir war es allerdings recht und wenn wir ehrlich sind: Wäre die Ausgangslage eine andere gewesen, wäre wohl das selbe Ergebnis bei rumgekommen, nur, dass die Punkte sich zwischen Televoting- und Jury verschoben hätten. Der Samstagabend hat meine Pro-Jury-Position mal wieder bestätigt. Und die frühen Startnummern haben weder der Ukraine, noch Israel geschadet. Viele sagen ja, die Televoter sind, was Startplätze angeht, eher empfindlich als die Jurys. Daher haben beide hier keinen Schaden im Televoting genommen. Kroatien war halt einfach zu stark, um nicht als Televotingsieger die Halle zu verlassen, was widerum nach zwei Jahren bestätigen soll, dass die Ukraine in Turin zurecht gewonnen hat, natürlich auch durch Sympathievotes, aber auch deshalb, weil es keine besseren Alternativen für die breite Allgemeinheit gab. Wäre natürlich spannend zu sehen, ob die Möglichkeit, schon von Beginn an abzustimmen, wirklich etwas am Abstimmungsverhalten geändert hat. Das bleibt dann wohl in den Nebeln von Norwegen.

Passende Überleitung: Was mich zu guter Letzt innerlich zermürbt ist das Verhalten von Gåte (meine diesjährigen Favoriten, deren letzten Platz ich zwar erwartete, mich aber dennoch enttäuscht zurücklies) in dieser Geschichte. Du hattest ja in deinem Eurovisionklassen-Artikel angesprochen, dass eben die Künstler, die sich ablehnend gegen Israel bis zum Schluss und darüber hinaus zeigten, die Grundprinzipien des ESC mit Füßen getreten hätten. Gåte gehörten hier (leider) dazu, zumindest einmal, was das Zögern der eigenen Teilnahmebestätigung und den Beschwerden nach dem Wettbewerb angeht, wie man selbst mundtot durch die EBU gemacht wurde. So seltsam es klingen mag, aber ich stelle mir gerade ernsthaft die Frage: Sind Gåte noch Künstler, die man als Hardcore-ESC-Fan wirklich noch unterstützen kann? Plane nämlich, ihre Konzerte in Bayern und Wien im Winter zu besuchen. Wenn sie allerdings letztlich daran Mitschuld haben, dass der ESC jetzt im Nachhinein doch noch zu Grunde geht, fiele mir das etwas schwerer.

So, meine Gedanken zu dem Thema habe ich mir jetzt mal ordentlich von der Seele geschrieben. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend!

Gruß

Lucas

Tamara Fabian hat gesagt…

Lieber Lucas,

erstmal ganz lieben Dank für Deinen Kommentar, auf den ich Dir natürlich auch antworten möchte.

Zunächst mal freue ich mich, dass Du in Malmö eine tolle Zeit hattest. Das deckt sich auch mit Johannes' Artikel auf ESC kompakt und genau so soll es ja sein. Seit wann warst Du in Malmö? Warst Du Donnerstag Nacht auch schon dort? Wenn ja: Mit Sicherheit haben sich einige Entwicklungen hier vor dem Bildschirm anders präsentiert als vor Ort. Für uns hier hat der Jahrgang direkt schon bei der Pressekonferenz seine Unbeschwertheit verloren. Falls Du sie noch nicht gesehen hast, schau sie Dir an - wenn ich wüsste, wer dieser bewusste polnische Journalist ist, würde ich ihn hier öffentlich schmähen, was das Zeug hält. Leider habe ich den Namen nicht verstanden.

Im Laufe des Freitags und des Samstags gingen die Dinge ja bekanntlich immer weiter den Bach runter. Es war einfach nur noch beklemmend; von der Stimmung vor Ort bekam man hier nichts mit, nur Eskalation, Eskalation, Eskalation. Als ich um 19 Uhr ins ESC kompakt live eingeschaltet habe, war ich mir nicht sicher, ob zwei Stunden darauf wirklich ein ESC stattfinden kann oder ob Österdahl die Reißleine zieht. Wie wir wissen, hat einer stattgefunden, und er war auch bis auf die Buhrufe sehr schön und unterhaltsam (wiewohl ich von den Pausenacts kaum was mitbekommen habe).

Was das Juryvoting speziell für dieses Jahr angeht, bin ich übrigens bei Dir. Dieses Korrektiv hat durch sein Runterwerten von Israel möglicherweise Gravierenderes verhindert als "nur" einen ESC 2025 in einem Land, wo möglicherweise nur wenige kommen und wo nicht klar ist, ob er überhaupt stattfinden kann. So gesehen muss ich dieses Jahr rausnehmen. Nemo hat fair and square gewonnen, und das perfekte System gibt es vermutlich nicht. Dennoch wird nur deshalb in der Bubble über dieses Thema derzeit nicht so intensiv diskutiert, weil es eben die ganzen unerfreulichen Begleitumstände gegeben hat.

Was meine Wut angeht, hab ich jetzt heute erstmal die Brandbriefe abgeschickt. Wenn man aber mal sieht, wie Eden Golan auf dem Flughafen ankommt und dort in Empfang genommen wird, dann kann man nicht anders als wütend sein. Wer weiß, was diese junge Frau hinter sich hat, und dem es dabei nicht das Herz in Stücke haut, der hat keins.

Sei versichert: Es kommen noch vier weitere Briefe, von denen zumindest zweieinhalb eine andere Tonart haben :) Ich will doch nicht in einer Wutrede aus der Saison gehen.

Nochmals: Danke für Deinen Kommentar, ich freu mich immer sehr, von Dir zu lesen!

Tamara Fabian hat gesagt…

Ach ja, Lucas, noch vergessen: Dein Gåte ist mein Silvester Belt. Ich liebe Luktelk, fühle mich aber aufgrund der Hintergrundgeschichte nicht mehr gut, wenn ich es höre. Wahrscheinlich ist es wirklich so, wie ich neulich in einem Kommentar gelesen habe: Man sollte besser gar nicht so viel über seine Lieblingsstars wissen wollen. Gibt nur Enttäuschungen, und irgendeine Leiche findet man bestimmt bei jedem im Keller.

Zwelfbungt - Lucas hat gesagt…

Mit dem Johannes habe ich tatsächlich am Donnerstag-Nachmittag vor dem Halbfinale Zeit im Eurovillage verbracht. Da war ja das ESC kompakt-Lesertreffen. Seine Liebe zum estnischen Beitrag und Enthusiasmus des ersten ESCs live vor Ort werden mir immer im Gedächtnis bleiben. Ich war tatsächlich vom Montag bis zum Sonntag nach dem Finale vor Ort bzw. in Kopenhagen, hatte ja ein OGAE-Liveshow-Ticketpaket. Der Verlauf der Dinge nach dem 2. Halbfinale war absolut verrückt. Ich habe euphorisiert die Arena verlassen nach den Qualifikationen von Lettland und Norwegen, habe auf dem Weg nach draußen sogar einen in London lebenden Letten getroffen, mit dem ich ein echt nettes Gespräch hatte und ihm von ganzen Herzen gratuliert habe. Am Bahnhof Hyllie vor der Arena wurde Party gemacht, "Europapa" wurde über einen Ghettoblaster gespielt. Dann werfe ich einen Blick auf Twitter und sehe das ausversehen veröffentlichte italienische Votingergebnis und, wenn ich ehrlich sein darf, es wurde mir übel. Und das wohlgemerkt nur, weil ich mir eine mögliche Eskalation in der Arena am Sonntagmorgen vorstellte. Aber ich hatte zu dem Zeitpunkt nicht viel gegessen und getrunken. Ein überteuerter Hotdog mit einer Flasche Faxe Kondi am Kopenhagener Hauptbahnhof halfen temporär weiter.

Zu den Pressekonferenzen: Sorry, aber seit letztem Jahr interessieren die mich nicht mehr nur die Bohne. Die waren ja meistens nur deshalb spannend, weil da auch gelost wurde. Den ein oder anderen ikonischen, wenn auch banalen Moment habe ich aber von akkreditierten Fanmedien auf Twitter mitbekommen (Stichwort: "Lettland hat die Form eines Schmetterlings und jedes Land verdient es, frei zu sein." - Dons). Aber das halt eben auch auf dem Smartphone, nicht jetzt im Pressecenter. Der Journalist, den du meinst, sollte Szymon Stelmaszyk sein. Den kenne ich noch von 2022 und seiner Frage an Monika Liu und war auch damals im Merci Cheri-Podcast zu hören.

Und dann der Freitag. Ach du heilige Sch....! So kann ich es eigentlich nur zusammenfassen. War da zwar auch in Malmö, aber beim Lord of the Lost-Konzert. Eine wunderbare Ablenkung übrigens! Am Samstag war ich bis 13:45 Uhr in Kopenhagen und habe noch von der Disqualifikation von Joost mitbekommen. Viel will ich nicht dazu sagen, außer, dass die Kommunikation der EBU zum Himmel schreiend bes**issen war. Ebnete den Verschwörungstheorien nur den Weg. Wenn ich mir die Streaminganzahlen von "Europapa" jetzt im Nachhinein aber anschaue, glaube ich hier mittlerweile an einen einzigen Publicitiy Stunt von Herr Klein. Im Sinne von "Wer erinnert sich an mich, wenn ich Zehnter, Fünfter oder Dritter in diesem Wettbewerb werde, wenn ich durch eine mögliche Disqualifikation Newsartikel füllen könnte und so mehr Aufmerksamkeit generiere?". Ich würde es ihm echt zutrauen. Anyway. Als ich dann gegen 15 Uhr für sechs Stunden lang anstand nahm ich eigentlich eine recht entspannte und fröhliche Stimmung war. Man suchte Kontakt zu Mitanstehern und lachte ab und zu mal, wenn das Wort "Verrufung, engl. Disrepute" fiel. Das war Futter für die Seele! Unterhaltsame Sh*tshow, bei der ich es nicht glauben, aber es im Nachhinein auch nicht bereue, dabei gewesen zu sein.

Das "nicht wissen wollen" ist halt schwer, wenn man so intensiv in dem Thema drin ist. Ich betrachtet das Ganze jetzt einfach mal so, wie damals bei Hatari: So gut wie möglich versuchen, geiles künstlerisches Schaffen von politischen Statements der dazugehörigen Künstler zu trennen. Ist mir bei Hatari vor fünf Jahren ja auch irgendwie gelungen, auch wenn ich den Song mit Bashar Murad auch geil finde. Mein Vater hört auch noch gerne Pink Floyd, obwohl Roger Waters ein unsäglicher BDS-Schwurbler geworden ist. Ich denke mal, dass Leute, die so Zeug wie Frei.Wild hören sich diese Frage gar nicht erst stellen. Oder zuletzt Rammstein eben.

Tamara Fabian hat gesagt…

Das mit dem Publicity-Stunt könnte durchaus sein. Und das macht es, wenn es denn so sein sollte, nur noch umso trauriger. Egal was es war: Aus meiner Sicht einfach nur ein gigantischer Egotrip. Mag sein, dass das kommerziell was nützt, aber beim ESC ist solch ein Verhalten einfach nur schändlich.

Sixtus hat gesagt…

Ich lese Euch beide richtig gerne.
Auch bin ich gespannt, was mich noch in den weiteren Artikeln Tamaras erwartet. Danke vorerst!