Dienstag, 31. März 2020

Lass Dich überraschen, Teil 3

Frankreich; Tom Leeb - The Best In Me

Uiuiuiuiui, das ist aber ein lecker Bürschchen. Und sehr tolle Kulisse im Video. Er steht oben auf der ersten (oder zweiten?) Plattform des nächtlich beleuchteten Eiffelturms, ganz ohne Netz und doppelten Boden und Sicherung. Hoffentlich hat er keine Höhenangst. Das wie seit einigen Jahren üblich zweisprachige Lied ist sehr schön, plätschert aber vor sich hin, und man wird durch die Optik von Sänger und Restvideo doch sehr davon abgelenkt. Das ist mal mindestens gar nicht mal so richtig positiv für das spätere Ergebnis.

Das wär sein Preis gewesen: Rechte Tabellenhälfte. Schnuckelpunkte hätte er schon kassiert, aber das langt üblicherweise nicht.
7 von 10 (davon mindestens 3 für die Optik. Kinder: 4 und 4 - die springen noch nicht auf die Optik an.)


Georgien: Tornike Kipiani - Take Me As I Am

Die Wundertüte des Kaukasus macht ihrem Namen mal wieder alle Ehre. Wir schwanken noch zwischen seltsam und befremdlich, aber es geht zumindest nicht da rein, da raus. Aber rätselhaft ist es. Ist das jetzt immer derselbe Typ im Video, nur einmal mit Haaren und Bart und einmal ohne? Meine Tochter: "Das sind zwei. Das andere ist ne Frau." Jedenfalls fragt er, why you want him to talk like an Englishman? Ja, warum bitte? Wo er es doch nun wirklich nicht kann? Immerhin, die Kassetten aus dem Video und der Spielzeug-VW-Käfer waren witzig.

Das wär sein (ihr?) Preis gewesen: Wenn schon Finale, dann extrem knapp, aber ich glaube eher, es hätte ihn geschrägt.

3/10 (Kinder 2 und 3)


Griechenland: Stefania - Superg!rl [sic!]

Wow, also DAS nenn ich mal ein gelungenes Video! Die Geschichte ist super erzählt. Stefania gibt uns hier das Supergirl mit übernatürlichen Fähigkeiten, das dadurch zum Star wider Willen wird und ihre Liebe findet. Das Lied ist in den Strophen leider etwas schwach auf der Brust, der Refrain und die nölige Geige (oder was auch immer das für ein Streichinstrument ist) reißen es aber raus. Die Geigeoderwasauchimmer gibt dem Ganzen denn auch einen hinreichend griechischen, eigenständigen Touch. Daumen hoch von uns!

Das wär ihr Preis gewesen: Mit einer ansprechenden Inszenierung, wovon man bei den Griechen ja eigentlich immer ausgehen kann, Top-10-Kandidatin.

7/10 (Kinder: 7 und 7)


United Kingkong: James Newman - My Last Breath

Ich habs GEWUSST! Irgendwann kommt der Moment, wo der Vorjahressieger kopiert wird. Voilà. Wir erinnern uns, dass Duncan Laurence weiland splitternackt im Wasser trieb, was ihm ja bekanntlich nicht geschadet hat. Da dachte man sich im Mutterland der Popmusik, machen wir das doch auch. Aber wir setzen noch einen drauf, wir nehmen gleich gefrorenes Wasser. Duncan hatte keine Zeit, da hat man ein etwas älteres Semester genommen und ihm sicherheitshalber Badeshorts und eine Käppi angezogen. Jetzt läuft er also halbnackt (!) und barfuß (!!) mit seinem Hund durch den Schnee (!!!). Ich hoffe, dass der nicht mit auf die Bühne gedurft hätte (also der Mann, nicht der Hund, der darf ja eh nicht). Das Lied? Uff, da muss ich meine grauen Zellen jetzt aber echt anstrengen. Joo, war besser als die letzten Jahre, aber das heißt ja nix. An den Sänger kann ich mich absolut nicht mehr erinnern. Konnte er singen? Hatte er Ausstrahlung? Mer waaß es net. WAS muss man Ed Sheeran eigentlich zahlen, damit er endlich beim ESC mitmacht?

Das wär sein Preis gewesen: Ohne den nackten Mann: Letzter im Finale. Mit dem nackten Mann: Allerletzter im Finale.

4/10 (weil mir der Song als nicht unangenehm in Erinnerung geblieben ist. Kinder: 3 und 4)


Irland: Lesley Roy - Story Of My Life

Das hier, das hat was. Im Video wird exzessive Celebration von Diversity betrieben, und dazwischen hüpft die fröhliche, frische Lesley Roy und singt uns die Story ihres Lebens vor. Das Lied ist genauso erfrischend wie seine Interpretin. Das Ganze erfindet das Rad nicht neu, aber es macht Spaß und ist mit Sicherheit einer der besseren irischen Beiträge der letzten Jahre. Da die Iren zuweilen bei der Inszenierung von guten Beiträgen auch ein entsprechendes Händchen haben, wäre sie wohl zweimal aufgetreten.

Das wäre ihr Preis gewesen: Wie gesagt: Zwei Auftritte. Im Semi vom Televoting gerettet, am Samstag dann um Platz 17.

8/10 (Kinder: 7,85 und 8 minus)

Samstag, 28. März 2020

Lass Dich überraschen, Teil 2

Bulgarien: VICTORIA - Tears Getting Sober

Die kleine Schwester von Victoria Beckham sitzt mitten in Phantasien auf einer Bank und singt von ihren Tränen, die wieder nüchtern werden sollen. So gesehen hat das ja gigantisches Identifikationspotenzial. Wir kennen das ja alle: Bei Kummer knallt man sich die Birne zu und dann aber Wasser marsch! Sie macht das auch ganz gut, süß ist sie auch, der Song ist auch schön. Es fehlt mir persönlich allerdings ein bisschen der Wumms. Führte bis zur Absage der Show bei den Bookies. So weit würde ich jetzt nicht gehen wollen.
Warum schreibt sie sich eigentlich in Großbuchstaben? Brüllt sie uns mit ihrem Namen an? Victoria, die Siegreiche?

Das wär ihr Preis gewesen: So außergewöhnlich, dass es auf jeden Fall ins Finale gekommen wäre und seine Stimmen auch gesammelt hätte. Als Sieger hätte ich es aber nicht gesehen. Vermutlich untere Final-Top-Ten.

7/10 (Kinder: 7 und 8)


Dänemark: Ben & Tan - Yes

Dänische Beiträge und ich, das ist ja immer so eine Sache. Wenn mir mal einer gefällt, was so ungefähr alle hundert Jahre vorkommt, gefällt er niemand anderem. In diesem Jahr ist es mal wieder soweit: Zwei Menschen, die optisch so gar nicht zusammenpassen wollen (ein Knabe im Karoanzug mit Braver-Buben-Frisur und suboptimal ausgeleuchteter Sehhilfe trifft eine hübsche Frau in Overknees und auch ansonsten knappen Klamotten singen einen schmissigen Song, der mich sofort abholt und mir auch nach dem Hören noch im Ohr ist. Das ist weit mehr, als man von den meisten anderen sagen kann. Daumen hoch!

Das wär ihr Preis gewesen: Das Finale hätten sie meiner Meinung nach bombensicher geknackt. Daselbst knapp Top 15.

8/10 (Kinder: 7 und 8)


Deutschland: Ben Dolic - Violent Thing

Es ist so bitter: Da hat der NDR sich endlich mal die Kritik zu Herzen genommen. Hat sich hingesetzt, gehirnt, eine Menge Geld in die Hand genommen und ein richtig gutes Paket geschnürt. Alles riskiert und eigentlich alles gewonnen. Aber dann kam die Absage der Show. Das hier ist der beste deutsche Beitrag seit "Taken by a Stranger" (ja, ich bin nach wie vor kein Fan von Herrn Schulte!) und hätte bei entsprechender Inszenierung in Rotterdam abgeräumt. Unglaublich schade. Ich hoffe, dass Ben Dolic darauf aufbauen kann. Ich bin zugegebenermaßen nicht unbedingt die Zielgruppe des Beitrags, auch ist mir die Stimme tendenziell zu hoch, aber Herrschaften: Das ist gut.

Das wär sein Preis gewesen: Top 10 im Finale auf jeden Fall möglich, eventuell sogar noch mehr.

7/10 (Kinder: 6 und 9)


Estland: Uku Suviste - What Love Is

Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn einen irgendwelche Gimmicks vom Lied ablenken. In diesem Falle waren es die Kerzen auf dem Boden. Wie haben sie das gemacht? Wir mussten uns direkt den Anfang nochmal anschauen, um hinter den Trick zu kommen. Aber mehr als die Kerzen war ja eigentlich auch nicht drin. Uku ist jetzt nicht unbedingst der Welt größter Sympathieträger, er singt das ganz ordentlich, aber das ist nicht mehr als Füllstoff für sein Semi. Nun gut, für IRGENDWEN muss die Absage des ESC 2020 ja auch Vorteile haben.

Das wär sein Preis gewesen: Wie gesagt: Semi-Füllmaterial. Samstagabend vor dem Fernseher ist ja auch was Schönes.

6/10 (weil man es sich gut anhören kann und weil ich Kerzen mag - Kinder: 5 und 5)


Finnland: Aksel Kankaanranta - Looking Back

Wenn man sich mal überlegt, was für grandiose Beiträge dieses Land schon zum ESC geschickt hat (auch wenn die nicht immer honoriert wurden), da kann man im Moment nur noch das kalte Grausen kriegen. Aksel bedient die Nische des dicken Versicherungsvertreters, allein, man hat was vergessen: Wenn man so jemanden schickt, dann muss einen die Stimme komplett wegfegen, was sie in diesem Falle nicht tut. So ist es einfach nur langweilig. Dazu kommt, dass seine Klamotten gar nicht mal so richtig sitzen (Hochwasser-Hose und Capri-Ärmel vom Sakko). Ähm? Nein.

Das wär sein Preis gewesen: Auch er hätte wohl den Samstag vor der Glotze verbracht.

5/10 (Kinder: 4,5 und 4,45)

Donnerstag, 26. März 2020

Lass Dich überraschen, Teil 1

Albanien: Arilena Ara - Fall From The Sky

Sie singt davon, dass sie "destined to fly" ist, was bei dem Nachnamen ja kein Wunder ist. Wenn ich hintenrum heißen würde wie ein Papagei, würde ich auch fliegen wollen. Ansonsten liefert Albanien wieder mal seine Kernkompetenz: Schöne Frau kreischt sich mit einem sperrigen Song die Seele aus dem Leib - soviel zum Thema "Screaming inside". Die Dame is definitiv screaming outside. Guuut, es ist jetzt nicht soooo schleeeecht, man kann sichs anhören, aber es ziiiieht sich.
Lieber Eugent Bushpepa, hast Du eigentlich im Mai 2021 schon was vor?

Das wär ihr Preis gewesen: Knapper Finaleinzug, daselbst dann auf den hinteren Plätzen.
5/10 (Kinder: 5 und 5)


Armenien: Athena Manoukian - Chains On You

Ach, der Schatten der Eleni Foureira reicht weit, weit, weit. Viele versuchen es in diesem Schatten, so auch diese junge Dame hier, allein, sie kann es nicht. Sie hat weder die Ausstrahlung noch die (ohnehin schon dünne) Stimme der Foureira. Dat is doch nix. In grottigem Englisch wird hier über Diamanten salbadert (dabei trägt sie doch Perlen) und darüber, dass sie es an die Spitze bringen will.  Vom Rest des Textes hab ich nicht allzu viel verstanden. Liebsteken, an die Spitze hättest Du es damit vermutlich nicht gebracht. Der Song? Mach weg, nächster.

Das wär ihr Preis gewesen: Nach zweimal Semi-Aus (von denen mindestens anderthalb unverdient waren), hätte es in diesem Jahr die Inszenierung schon gerichtet. Mehr ist ja auch nicht dran.

2/10 (Kinder: 2 und  2)


Aserbaidschan: Samira Efendi - Cleopatra

Drei Minuten können so verdammt lang sein. Man versteht kein Wort, außer "and it sounds like this". Das, nach was es da soundet, hat uns erstmal aus den Schuhen gekippt. Die Dame ist mit einigen anderen Damen und Herren in der Wüste und umtanzt Autos. Vom Song hab ich außer "Lalalala lalalala lalalala, la Cleopatrrra" nichts mitgenommen. Mach das bitte auch weg. Wenn es schon Cleopatra beim ESC sein soll, dann sei an dieser Stelle auf den besten griechischen Beitrag aller Zeiten verwiesen.

Das wär ihr Preis gewesen: Herrgott, ja es ist Azedaze. Die Schmach eines erneuten Semi-Aus hätte die Inszenierung dann schon erfolgreich verhindert.

2/10 (Kinder: 3 und  3)


Australien: Montaigne - Don't Break Me

Ein grenzdebil rumzappelnder Clown, stimmlich ein Totalausfall, jault praktisch die ganze Zeit nur "Don't break me". Also mal abgesehen davon, dass ich Clowns leidenschaftlich hasse: Liebe Australier, Ihr habt doch nun wirklich eine geniale Musikszene. Was bitte sollte das? Wie kann man sich für sowas entscheiden? Waren die anderen alle noch schlechter, oder was war los? "I can't stand it any more." Ich auch nicht, Schätzchen, ich auch nicht.

Das wär ihr Preis gewesen: Der mit Abstand schwächste australische Beitrag hätte die Immer-Weiterkomm-Strähne krachend beendet.

3/10 (Kinder 2 und 2)


Belgien: Hooverphonic - Release Me

Hooverphonic! In dem Moment, wo klar war, dass die Belgien vertreten sollen, hab ich angefangen zu hyperventilieren. Das konnte doch nur gut werden. Okay, es ist nicht so ein Brett wie das legendäre "Sometimes", aber sehr, sehr schön. Sehr sanft, sehr melancholisch, das lassen wir uns alle gern gefallen.

Das wär ihr Preis gewesen: Entweder linke Hälfte im Finale oder Schock-Aus im Semi. Dazwischen gibt es nichts. Beiträge dieser Strickart fallen gern mal unter den Tisch, allein, da sei in diesem Falle die Bekanntheit der Künstler vor.

8/10 (Kinder 6 und 6)

Wir lassen uns das Lästern nicht verbie-ten!

Tja, Ihr lieben Menschen da draußen, Ihr habt es alle mitbekommen: Unser aller liebste, tollste, schönste, beste Fernsehsendung von draußen ist dieses Jahr gecancelt. Is nich. Gibt kein Eis. Ein Jahr ohne ESC, das erste Mal seit Bestehen desselben.

So sehr das schmerzt und so bitter das für alle Beteiligten ist, ist das aus jetziger Sicht sicher die richtige Entscheidung gewesen. Was es bringt, werden wir noch sehen. Einstweilen hoffe ich, dass es Euch da draußen allen gut geht und dass Ihr bisher vom Coronavirus verschont worden seid und das auch so bleibt. Bleibt bitte alle gesund, das ist im Moment das Wichtigste.

Wie es so meine Gewohnheit ist, hab ich mir das Anhören und Anschauen der Beiträge auch in diesem Jahr aufgespart, bis alles feststeht. Aus jetziger Sicht kann ich nur sagen: Eine selten dämliche Entscheidung. Ich mach es nächstes Jahr wieder so. Aber was soll man jetzt belästern, wenn es doch alles nur Makulatur ist? Ich glaub, ich lasse das und mache nächstes Jahr wei- äh, was?

Das geht aber gar nicht? Was wäre ein Eurovisionsjahr ohne unsere fachkundefreie Verurteilung? Das wär ja wie ein Melodiefergevaltigen ohne 4-Chord-Song, wie Alexander Rybak ohne Geige, wie Verka ohne Stern?

Jepp. Genau das haben meine Kinder auch gesagt, sie drängeln mich seit Tagen,  dass wir uns den Jahrgang jetzt endlich mal geben. Und wer wäre ich, mich den Wünschen meiner Kinder zu verschließen?

Also, gehn mer's an. Oder, um es mit den Worten eines einstmaligen niederländischen (!) Eurovisionsteilnehmers zu sagen: "Lass Dich überraschen!"