Ich habe lange überlegt, wie ich die Nachlese in diesem Jahr aufziehen soll. Es fällt mir nicht ganz so leicht wie sonst, weil es so unendlich viele Geschichten gibt und weil man denen gar nicht wirklich Rechnung tragen kann, wenn man die Beiträge einzeln betrachtet. Ich versuch es trotzdem.
Die Überschrift dieser Geschichte hier lautet: Televoter sind Wichser.
26. Vereinigtes Königreich - 0 Punkte
Jury: 0 Punkte (Platz 26)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt)
Ich gestehe, mir geht es wie Graham Norton. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Der Song ist ein ordentliches Stück Britpop, von dem sehr sympathischen Knuddelbär James kompetent vorgetragen. Okay, der Beitrag war jetzt nicht so, dass man sagen konnte, alles hat gestimmt. Far from it. Das Outfit war suboptimal, die Riesentröten hätte es nicht gebraucht, und auch die Schnelldurchlaufstelle hätte man etwas sorgfältiger wählen können - das gilt übrigens für alle vier Televoting-Nuller. Aber, verdammich, das rechtfertigt nicht die völlige Punktefreiheit in diesem Falle, so heftig war das doch nun wirklich nicht! James hat ordentlich abgeliefert, da gibt es wenig zu meckern! Und wisst Ihr was: Ich hoffe, dass er aus dieser WC-Hygiene jetzt mindestens genauso viel macht wie weiland Jahn Teigen (bei dem ich die Null im Gegensatz zu James absolut verstehen konnte!)!
Eins noch: Könnte mir bitte irgendjemand in leicht verständlichen Worten erklären, warum James aus Polen keine Jurypunkte bekommen hat? Hier ist die Tabelle mit den aufgedröselten Jurypunkten. Der Durchschnittsrang für James ist klar besser als der für die Russin, die einen Punkt bekommen hat. Please explain.
25. Deutschland - 3 Punkte
Jury: 3 Punkte (Platz 25)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt).
I just feel sorry.
Hier war ich überrascht über die Jurypunkte, ich hab eigentlich fest mit einer brettharten Null gerechnet. Denn mal ehrlich: Das hier war Dorfverein in der Champions League. Eddie Edwards bei den Olympischen Spielen in Calgary. Hauptsache dabei gewesen. Nur: Bei Olympia mag das noch angehen, beim ESC nicht. Aber das ist eine andere Geschichte und soll in einem anderen Beitrag erzählt werden. Zum Auftritt nur dies: Man wusste aus den Proben, dass das eine enge Kiste wird. Es war nicht ganz so schlecht wie erwartet, aber läääängst nicht auf dem Niveau wie die Mitbewerber. Jendrik war bereits vor der ersten Strophe aus der Puste. Der Mittelfinger bzw die Dame darin (Sophia, glaub ich), wird sich einst fragen lassen müssen, welcher Teufel sie geritten hat, um sich freiwillig in dieses Ding schießen zu lassen. Und ja, da kann sie noch so oft den Arm ausstrecken, das war ein Mittelfinger! Immerhin bewies Jendrik, dass er Ukulelenweitwurf einwandfrei drauf hat. Ukulele. Ein Instrument, das ich nie wieder beim ESC sehen möchte, egal, ob mit Strass oder ohne. Aber wenn man ihnen das jetzt sagt, kommen sie nächstes Jahr alle mit Tenorhörnern um die Ecke. Lieber nicht. Der Background ging übrigens auch überhaupt nicht. Wer hat den zu verantworten? Ganz am Ende ein dickes "HATE", das zwar kaputtging, aber außer Stinkefinger und Beleidigungen nix gewesen. I don't feel hate. I just feel embarrassed.
24. Spanien - 6 Punkte
Jury: 6 Punkte (Platz 24)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt)
Uff. Bei Blas kann ich die Null im Televoting noch am ehesten nachvollziehen. Er war eigentlich derjenige, den ich auf dem letzten Platz erwartet habe. Hier stimmte leider so einiges nicht. Schlechteste Stelle im Schnelldurchlauf (wieder mal), Falsettgesänge, das Lied ist zwar schön, aber sehr langweilig, und wenn man nicht weiß, worum es geht (wovon ich bei 95% der Abstimmenden ausgehe), dann geht es links rein, rechts raus. Und wenn man weiß, worum es geht, wundert man sich, warum der Cantó ein Liebeslied für seine Oma singt, dass eigentlich eher einer Geliebten zu Gehör gebracht werden sollte. Anyway, DIESE Null kann ich einigermaßen unterschreiben. Riesige Monde als Props auf der Bühne gab es jetzt meiner Erinnerung nach zweimal: Bei Nathan Trent 2017 und hier bei Blas. In Summe haben die beiden null Punkte im Televoting kassiert. Wir lernen daraus: Keine Monde. Keine Ukulelen. Keine Riesentröten. Und, wie wir gleich sehen werden, keine Wörter, die ganz Europa zu Verhörern einladen.
23. Niederlande - 11 Punkte
Jury: 11 Punkte (Platz 23)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt)
Kommen wir nun zum letzten und meiner Meinung nach unglücklichsten der Televotingnuller. Auch hier natürlich wieder die Frage, woran es gelegen haben könnte. Bin noch unschlüssig. Der Song ist echt toll. Und es geht hier auch um etwas Größeres als eine Eurovisionsteilnahme. Der sanfte Revoluzzer hat denn auch ein paar Worte auf dem in Suriname gesprochenen Sranantongo in seinem Song gehabt. Leider ist das europäische Publikum zu blöd, sich die Worte "Yu no man broko mi" adäquat zu übersetzen und denkt dabei an was ganz Anderes. Leider half auch der Tänzer im roten Gewand nicht viel, und die Stelle im Schnelldurchlauf war auch falsch gewählt. Die choreographischen Mätzchen hatte der Song eigentlich nicht nötig, und vermutlich haben sie sich damit auch keinen Gefallen getan. Aber dennoch: Ein krass unverdientes Ergebnis für einen der besten Heimbeiträge der letzten Jahre!
Leider spricht die Statistik auch gegen unsere vier Jungs. Nix mit "immer knapp Elfter geworden" und so. Die Durchschnittsrankings beim Televoting sehen folgendermaßen aus:
Deutschland: 17,42; 33x in der TOP 20 (immerhin!)
Spanien: 22,95; fünfmal in der TOP 20
Niederlande: 23,21; viermal in der TOP 20
UK: 23,42; fünfmal in der TOP 20.
Bei einer anderen Zählweise hätte Jendrik noch am ehesten Punkte bekommen, aber bei den anderen war nichts drin. Insbesondere der arme Jeangu hatte keine Chance, sein bester (!) Rankingplatz war 18. Die Televoter wussten die Beiträge einfach so gar nicht zu schätzen.
Ich hab es schon gesagt, und ich sag es auch nochmal: Televoter sind Wichser. Okay, Jurys auch, aber Televoter in diesem Jahr eindeutig schlimmer. So eine Situation gab es noch nie. Wir haben hier gesessen und den Mund nicht mehr zugekriegt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals beim ESC so schockiert gewesen zu sein, zumal ich von den Nullen auch nur eine ansatzweise nachvollziehen kann.
Was ich ganz, ganz schlimm fand: Jeder der vier wurde groß eingeblendet und musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Zum Glück gab es das Publikum in der Halle, dass alle unterstützt hat, sei es durch Applaus bei James Newman oder Unmutkundtuung bei Jeangu Macroy. Und diese Unterstützung haben alle verdient! Unsere vier Jungs, insbesondere der bedauernswerte James Newman, haben gerade die größte Demütigung kassiert, die man in der Unterhaltungsbranche kriegen kann. Vermutlich wird außer Gabriela Guncikova, Nathan Trent und den Sisters niemand nachvollziehen können, wie sie sich damit fühlen, aber die wurden allesamt wenigstens nicht eingeblendet. Bei James, Jendrik, Blas und Jeangu dagegen hielt die Kamera drauf. Kein Wunder, dass die beiden Erstgenannten blau wie die Haubitzen waren, bei den anderen beiden konnte ich das nicht erkennen. Ich habe in allen vier Fällen größten Respekt davor, mit wie viel Würde und Grandezza sie das Ergebnis angenommen haben.
Und an alle, die jetzt wieder sagen, man möchte doch bitte in so einer Situation angemessen niedergeschlagen sein: Was sollen sie denn machen? Losheulen? Nein! Aufrechtgehn (pun intended) und sich dem ganzen trotzig entgegenstemmen, egal wie heftig man in die Fresse bekommt! Und deshalb: Ihr vier seid toll! Und Televoter sind Wichser! So!
James, Jendrik, Blas und Jeangu: Ihr seid alle tolle Jungs, und ich hoffe und wünsche Euch, dass Ihr das gut verpackt!