Sonntag, 27. März 2022

ESC 2022: Zweite Hälfte der zweiten Hälfte des ersten Semis

Kroatien: Mia Dimšić - Guilty Pleasure

Leutöööö! Wenn man einen Song Guilty Pleasure nennt, dann muss auch Guilty Pleasure kommen! Da kann man doch nicht so ein Gitarrengeplodder schicken! Ja, das Lied ist schön, aber es geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Ich hab so das Gefühl, das schreibe ich unter jedem zweiten Song. Mia wirkt stimmlich und klamottentechnisch wie frisch aus der Castingshow entsprungen, auch wenn sich meine Kinder eher an Keira Knightley erinnert fühlen. Muss mal recherchieren, ob sie das tatsächlich auch ist. Ich sehe eher Parallelen zu ManuElla, nicht zuletzt durch den zwar sehr akrobatischen, aber irgendwie überhaupt nicht dazu passenden Tänzer. Wenn der in Turin auch dabei ist, möge er bitte analog zu ManuEllas Tänzer seinerzeit seine Oberbekleidung zuhause lassen, damit ich wenigstens was zu gucken hab! Und bevor mir diesbezüglich von einem meiner beiden Lieblingssteirer wieder Gedächtnisgeilheit vorgeworfen wird: Worauf soll man hier denn sonst achten? Zusammengefasst: "Blue and red" war für mich ein Guilty Pleasure. Das hier heißt nur so.

Chancen aufs Finale? Hmph. Ich muss so langsam aber sicher gucken, ob ich überhaupt genügend Finalisten zusammenkriegen. Schneckenrennen hier! 

Zagreb 2023? Nope.

5/10 (Kinder: 3,5  und 4)



Norwegen: Subwoolfer - Give That Wolf A Banana

Ein tatsächliches Guilty Pleasure beziehungsweise das Potenzial dazu kommt in diesem Jahr aus Norwegen. Die Herren und Damen in gelben Ganzkörperkostümen (bei denen ich jetzt zehn Minuten lang versucht habe rauszukriegen, wie die Dinger heißen - sind das Zentais? Zweckdienliche Hinweise bitte in die Kommentare, lasst mich nicht dumm sterben!), denn Bananen sind ja schließlich gelb, die Herren haben zusätzlich noch mit den Kindergartentanten ihrer Kinder ein Wolfsgebiss gebastelt und tragen das jetzt auf der Bühne, damit man erkennt, dass sie ganz gefährliche Wölfe sind. Den Song kann man anhören, ist gesanglich keine Offenbarung, hat aber lustige Textzeilen, sprich Wolf essen Oma auf, also gebt dem Wolf bitte eine Banane. Nein, ich möchte das jetzt nicht vertiefen. Wie gesagt, es hat Potenzial, aber ich hätte mir das ganze gern NOCH trashiger gewünscht. So finde ich es noch ein bisschen halbherzig. Wenn schon Trash, dann bitte die volle Dröhnung. Lasst uns in Turin nicht hängen, Norweger!

Chancen aufs Finale? Yep. Das kommt durch. 

Oslo 2023? Nonono.

6/10 (weil in trashtechnischer Hinsicht einfach noch Luft nach oben ist. Da geht noch mehr! Kinder: 6  und 6)



Österreich: LUM!X feat. Pia Maria - Halo

Tu felix Austria! Eine Sache ist schon mal klar: Von den drei DACH-Beiträgen wird dieser hier am besten abschneiden, immer unter der Voraussetzung, dass sie die Performance nicht versemmeln. Ich bin hier aber guten Mutes. Das Video bietet jede Menge Opulenz, kann man mit auf die Bühne nehmen, braucht es aber gar nicht. Aber die sechs zugelassenen Leute brauchts, hier kann man inszenatorisch sehr viel rausholen. Ach so, der Song? Hat ordentlich Wumms und holt zumindest mich sofort ab! Ich prophezeihe, dass das ab sofort auf jeder eurovisionsbezogenen Tanzfläche der Burner wird, egal, wie es abschneidet. Ich nehm es auf jeden Fall mal in meine eigene Spotify-ESC-Rumzappelliste auf.  Wäre meiner Ansicht nach übrigens der ideale Song, um das Semi abzuschließen.

Chancen aufs Finale? Yes.

Wien 2023? Naaaa!

8/10 (Kinder: 7 und  6-)



Portugal: MARO - Saudade, Saudade

Ach menno, Black Mamba, warum musstet Ihr letztes Jahr auf Englisch singen und dann auch noch so erfolgreich? Jetzt denkt man in Portugal, dass das immer so muss. Hallloooooo, Salvador Sobral hat komplett auf Portugiesisch gesungen! MARO singt größtenteils Englisch, das muss man allerdings dazusagen, da recht schwer zu verstehen. Dabei ist das ein Song zum Zuhören, nebenbei funktioniert das nicht. MARO hat eine schöne Stimmfarbe und wird von ihren Backings sehr gut ergänzt. Die Harmonien, die dabei entstehen, sind ziemlich ungewöhnlich und gefallen zumindest mir sehr gut. Man muss sich aber drauf einlassen. Sehr viel erinnert mich hier an "O Jardim", aber ich hoffe, das hier wird besser abschneiden - auch wenn der Beitrag sich am Ende vielleicht einen Ticken zu sehr in die Länge zieht.

Chancen aufs Finale? Das ist bei keinem Beitrag so schwer zu sagen wie bei diesem und könnte hier auch maßgeblich von der Startreihenfolge abhängen. 

Lissabon 2023? Nein.

8/10 (Kinder: 5 und 7)


So, soviel zum ersten Semi. Wer von denen schaffts denn ins Finale? Mal gucken:

Albanien
Litauen
Moldawien
Niederlande
Ukraine
Griechenland
Island
Norwegen
Österreich

und noch einer aus Dänemark, Armenien und Portugal. Hm. Doch gar nicht so schneckenrennig. Ich nehm Portugal.

Mittwoch, 23. März 2022

ESC 2022: Erste Hälfte der zweiten Hälfte des ersten Semis

Armenien: Rosa Linn - Snap

Nachdem jemand auf ESC kompakt in den Kommentaren schrieb, dass ihn das hier an Boggie erinnere, hatte ich ja schon schlimmste Befürchtungen. Aber nein - das her ist gut. Bisschen sehr auf Radiotauglichkeit getrimmt, kloppt aber nicht die Tränendrüsen kaputt und lässt sich wirklich gut anhören. Das Video mit dem fliegenden Haus gefällt mir sehr gut, das als Gimmick auf die Bühne, und Ihr habt mich. Allerdings hat die Schreiberin dieser Zeilen mal wieder ganz leise Zweifel daran, ob die gute Rosa das auch live hinbekommt, und bis dato haben sich diese Zweifel leider immer als berechtigt erwiesen. Ich hoffe in diesem Falle, dass es anders ist, das ist nämlich schon irgendwie hübsch.

Chancen aufs Finale? Ich hoffe, aber ich sehe sie keineswegs sicher drin.

Jerewan 2023? Nope

7/10 (Kinder: 6,5 und 6-)



Dänemark: REDDI - The Show

Ach, Dänemark. Nachdem Deine Beiträge jetzt vier Jahre lang halbwegs okay beziehungsweise sogar ganz gut waren, kippt es heuer wieder in den Abgrund, lasst Euch da nicht von unserer Punktzahl täuschen. Es geht extreeem laaaangweiliiiiig los, eine strunzöde Klavierballade ohne Selling Point ("Boah, ist das generisch"), bei der man auf den Wumms wartet und wartet und wartet ... und dann wird der Radau angeschmissen. Ich glaube, das ist der krassteste Bruch, den ich jemals bei einem Eurovisionssong vorgesetzt bekommen habe (und Ihr regt Euch über "Era stupendo" auf - PÖH!). Allein, der Wumms ist zwar gut gemeint, aber noch lange nicht gut. Noch mehr Wumms und den von Anfang an, und das wäre genau mein Beuteschema. Aber so: Nicht. Alles lassen wir uns dann auch nicht vorsetzen. Vor allem missfällt einem der Kinder auch die Frisur der Sängerin ("Das sieht aus wie aus den Achtzigern"). Ich hab mich auf Rock am Ring dieses Jahr gefreut, aber doch bitte nicht so!

Chancen aufs Finale? Na, mal gucken, ob sich noch sieben schlechtere Beiträge in diesem Semi finden. Könnte aber auch hier eng werden.

Kopenhagen 2023? Ach Leute.

5/10 (Kinder: 5- und 7, und in allen drei Fällen gelten die Punkte nur für den zweiten Teil, für den ersten gibts von uns eine dreifache glatte Null!)



Griechenland: Amanda Tenfjord - Die Together

Die Griechen trauen sich was! Der Anfang ist extrem reduziert und fokussiert allein auf Amandas Stimme und die ihres Background-Sängers. Das live zu stemmen wird sicherlich eine Herausforderung, aber bei ihr haben mich die oben benannten Zweifel nicht befallen. Auch die Titelzeile "Die together" ist ein Risiko, alles in allem ziemlich viel Risiko auf einmal - und das wird hoffentlich belohnt! Ich bin im Moment schon um jeden Beitrag froh, der mal was riskiert und nicht so tut, als sei er fürs Radio konzipiert.

Chancen aufs Finale? Wehe wenn nicht! 

Athen 2023? Kann ich mir Stand jetzt noch nicht vorstellen.

8/10 (Kinder: 8 und 8)



Island: Systur - Með Hækkandi Sól

Drei isländische Elfen mit Katarren um den Hals singen was, was ebenfalls eher nicht so im Radio laufen, dafür aber auf Spotify bei mir in Endlosschleife laufen würde (und wird). Der Nachwuchs ist nicht ganz so geflasht wie ich und fühlt sich an den Soundtrack eines Drachenzähmen-Films erinnert. Würde ja passen, dort haben auch mal Isländer gesungen. Die Stimmen der Systurs, die in echt auch tatsächlich Schwestern sind, harmonieren wunderbar miteinander, und ich denke, dass das auch live auf der Bühne kein Problem sein wird. Ich könnte denen stundenlang zuhören. Der Song braucht meiner Meinung nach auch keine besondere Inszenierung, die sollen einfach machen und singen, dann ist man, so man für diese Töne empfänglich ist, auch sofort gefangen. Wenn man nicht für diese Töne empfänglich ist, hilft auch die tollste Inszenierung nix. Mit anderen Worten: Das dürfe ziemlich polarisieren, aber das muss ja nix Schlechtes sein. Ich freu mich, dass Island weiterhin tolle Beiträge schickt und die Schwächephase Mitte der Zehner endgültig überwunden zu sein scheint.

Chancen aufs Finale? Wie gesagt. Es polarisiert vermutlich. Da man aber nur für und nicht gegen was stimmen kann, werden sie es aller Voraussicht nach schaffen.

Reykjavik 2023? Dafür wird es nicht reichen.

9/10 (Kinder: 6 und 7)

Montag, 21. März 2022

Danke, aufrechtgehn.de!

Lieber Oliver,

soeben habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass aufrechtgehn.de sich aus dem deutschen ESC-Nachrichtenversum verabschiedet. Die Gründe kann man auf Deiner Startseite lesen, Das ist selbstverständlich zu akzeptieren, und ich kann Deine Beweggründe da durchaus auch nachvollziehen.

Dennoch lässt mich Dein Abschied von aufrechtgehn.de sehr traurig und bestürzt zurück. Da geht etwas, was für mich seit vielen Jahren untrennbar zum ESC dazugehört. Wenn ich mal so zurücküberlege, muss ich mich das erste Mal so um 2004 rum auf Deine Seite verirrt haben, also zu der Zeit, wo Du in Istanbul Deinem ersten Live-ESC beigewohnt hast. Damals steckte die ESC-Berichterstattung im Internet ja noch in den Kinderschuhen. Viele der Seiten, ohne die wir heute alle nicht mehr auskommen können, gab es noch gar nicht. Kein Wunder, dass ich auf Deine Seite kam, las und hängenblieb.

Da schreibt jemand, der für den ESC brennt. Der jedes kleine Schnipselchen inhaliert. Der Meinungen hat und sie vertritt. Der sich nicht scheut anzuecken und auch mal was zu schreiben, was vielleicht nicht jedem gefällt. Und: Der eine wirklich brilliante Schreibe hat.

Ich weiß nicht, wie viele überaus vergnügliche Stunden ich in den letzten 18 Jahren mit Deinem Blog verbracht habe, aber summa summarum dürfte man es inzwischen wohl in Wochen, vielleicht sogar in Monaten messen können. Denn aufrechtgehn.de war für mich immer eine Ganzjahresangelegenheit, bestens dafür geeignet, in der eurovisionsfreien Phase etwas zu haben, wo man hingehen und eurovisionären Spaß haben kann. Und den hatte ich! Ich weiß nicht, wie oft ich mich über eine von Deinen grandiosen Formulierungen beömmelt habe, wie oft ich sofort runtergescrollt habe, um meinen Senf zu Deinem Artikel dazuzugeben, wie oft ich mich gefreut habe, wenn Dir wieder mal was tolles Neues eingefallen ist. Ich denke da nur an das Songduell 2017 oder Dein Komplettranking 2019.

(Mein absolutes Highlight war übrigens ein Artikel vom 26. September 2010. Ich denke, Du weißt noch, welchen ich meine. Das war für mich eine unglaubliche Ehre! Alle anderen: In die Suchzeile mal meinen Namen eingeben und gucken, was da kommt.)

Vor allem aber warst Du immer am Puls des Geschehens, sobald die Saison losging. Immer wenn ich wusste, da steht wieder was an, kam ich alle paar Stunden auf Deiner Seite, um zu schauen, ob Du die neue Veranstaltung schon besprochen hattest. Und jedes einzelne Mal hab ich mich gefreut, wenn der neue Artikel da war. Insbesondere in den Probenphasen des ESCs war das sehr intensiv, weil sich dort dann auch oft entsprechende Prognosen von Dir fanden, und was ist spannender als Prognosen?

Am Ende ging es gar so weit, dass man Deine Nachbetrachtungen und andere amüsante Ansichten in Buchform erstehen konnte (Mario R. Lackner und Oliver Rau: "Friede, Freude, Quotenbringer: #60 Jahre Songcontest", ISBN 978-3902981578, gehört natürlich in jede Fan-Bibliothek!).

Natürlich war ich nicht immer Deiner Meinung. Über Tom Dice, Raphael Gualazzi, Sjonni's Friends oder Ryan O'Shaughnessy werden wir wohl ebensowenig in diesem Leben nochmal auf einen Nenner kommen wie über DQ (ups, jetzt bin ich persona non grata :D ), Hadise, Michael Schulte oder Sakis Rouvas' ersten Versuch. Aber letztlich macht das doch auch genau den Reiz des Ganzen aus. Wir diskutieren über und bewerten etwas, was eigentlich unbewertbar ist. Wenn alle die gleiche Meinung hätten, wär es ja langweilig. Und deshalb hab ich Deine Artikel auch dann sehr genossen, wenn Du meine Meinung mal wieder nicht geteilt hast.

So meinungsfreudig und wenig zimperlich Du in Deinen Postings mit den Künstlern auch warst, so freundlich, verbindlich und zugewandt warst Du immer in den Kommentaren, auch wenn Dir dort mal jemand quer kam. Nie bist Du ausfallend geworden, nie hast Du die Contenance verloren. Und auch bei den paar Malen, wo wir Mailkontakt hatten, habe ich Dich als auffallend freundlich und höflich erlebt. Das hat dazu geführt, dass ich mich auf Deinem Blog immer unglaublich wohlgefühlt und stundenlang mit Freude Deine Postings durchstöbert habe.

Nebenbei hat mir Dein wahnsinniger Einsatz immer wieder Respekt abgenötigt. Es gab in den letzten Jahren keine Vorentscheidung, die Du nicht kommentiert hast, kein Ereignis, das von Dir unbemerkt geblieben ist - und das als Ein-Mann-Show. Oft habe ich mich gefragt, wie Du es geschafft hast, das alles ganz allein zu stemmen. Und letztendlich ist das ja, wie man lesen kann, einer der Gründe, warum Du nun nicht mehr weitermachst. 

Nun denn, wie ich oben schon schrieb, Deine Entscheidung ist zu akzeptieren und zu respektieren, und ich kann das irgendwo auch nachvollziehen. Wenn eine Sache, die man völlig unentgeltlich und rein aus Leidenschaft und Herzblut betreibt, zur Last wird, ist es wohl tatsächlich Zeit, die Last abzulegen, so schwer das für uns Leser auch ist. Ich bin sicher, dass Du Dir diese Entscheidung alles andere als leicht gemacht und sie Dir sehr gründlich überlegt hast.

Du hast auf Deiner Startseite das Cover von Hannes Schöners "Nun sag schon Adieu" als Bild zum Artikel ausgewählt. Ich leihe mir da die Worte von einer anderen großen Kölnerin: Niemals geht man so ganz... (Verdammt, jetzt kommen mir tatsächlich die Tränen!)

Will sagen: Lass, wenn es für Dich irgend machbar ist, die Seite so in dieser Form im Netz, wie Du es ja auch schon angekündigt hast. Und wenn die Zeiten wieder besser werden und Du vielleicht doch nochmal wieder Lust bekommst ... never say never, oder?

Auf jeden Fall hoffe ich, dass Du uns, wie Du in Deinem Abschiedsposting geschrieben hast, als ESC-Fan erhalten bleibst und dass wir Dich weiterhin in entsprechenden Kommentaren oder eben auf Twitter lesen dürfen.

Lieber Oliver, tausend, tausend Dank für die vielen tollen Stunden, die ich bei der Lektüre Deiner Artikel und beim Verweilen auf Deiner Seite haben durfte. Ich werde das entsetzlich vermissen und verneige mich vor Dir und Deinem großartigen Blog. 

Alles Liebe und auf hoffentlich baldiges Wiederlesen,

Deine Tami


Samstag, 19. März 2022

Noch ein paar Worte zur Ukraine

 Ich habe den ukrainschen Beitrag im letzten Posting behandelt wie jeden anderen auch, aber natürlich sind hier dann doch nochmal ein paar ergänzende Worte nötig. Es ist ein sehr schwieriges Thema und ich hoffe, ich kann das, was ich sagen möchte, gut rüberbringen, und Ihr versteht es so, wie es gemeint ist.

Zuerst mal: Das Wichtigste im Zusammenhang mit diesem Beitrag ist, dass Kalush Orchestra bis Mai unversehrt bleiben und überhaupt erst mal antreten können. Das ist ja leider keineswegs gesichert, und ich wäre zwar sehr bestürzt, aber leider nicht überrascht, wenn die Ukraine aufgrund des Krieges dann tatsächlich noch zurückziehen müsste. Hoffen wir weiterhin, dass dieser völlig sinnbefreite Krieg schnellstmöglich endet.

Aus dieser Hoffnung heraus habe ich in der Songbesprechung auch "Kyiv [sic!] 2023?" untendrunter geschrieben, wohl wissend, dass das eine aus logistischen Gründen so gut wie unmögliche Option ist. Es fällt halt gerade sehr schwer, damit adäquat umzugehen. Falls es zu einem ukrainischen Sieg kommen sollte (was ja an sich was sehr Erfreuliches wäre, siehe Besprechung im vorigen Post), wird die EBU da sicher eine Option finden. Müsste sie im Falle eines australischen Sieges ja schließlich auch.

Nun ist es so, dass die Ukraine derzeit mit großem Abstand auf Platz 1 in den Wettquoten liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 34% und Quoten, die Måneskin nie auch nur ansatzweise erreicht haben. Das gab schon einigen in der Bubble zu denken, von wegen, die Ukraine würde in diesem Jahr auf jeden Fall wegen des Krieges den ESC gewinnen, und das sei wahlweise toll / blöd / total ätzend. 

Dazu drei Gedanken: 

1. Ich finde den Gedanken, es sei doch ätzend, dass die Ukraine wegen des Krieges und vieler aufgrund dieser Tatsache zu erwartender Mitleidspunkte den ESC gewinnen könnte, absolut beschämend und unangebracht. Seien wir froh, wenn die Ukraine überhaupt im Mai dabei sein kann, wie sie abschneidet, werden wir sehen. Da gibt es im Moment weiß Gott Wichtigeres als die Möglichkeit, man könne aus Mitleid den ESC gewinnen. Und selbst wenn: Warum ist das ein Problem?

2. Man kann Juroren und Televotern nicht in den Kopf gucken. Die Gründe, warum ein Beitrag den ESC gewinnt, wird man nie erfahren, man kann nur mutmaßen. Also kann man es auch lassen.

3. Nun gut, so ganz stimmt das nicht: Üblicherweise gewinnen Beiträge, die bei ihrem Auftritt ein gewisses Momentum schaffen. Aus Mitleid oder politischen Gründen hat noch nie jemand beim ESC was gewonnen oder verloren. Sonst hätten SuRie, Corinna May, Serafin Zubiri, Pertti Nurikan Nimipäivet, Monika Kuszynska oder Daniel Diges besser und die Tomachevy Sisters, Polina Gagarina oder Sergej Lazarev schlechter abgeschnitten. Und nein, die Null für Gemini 2003 hatte absolut nichts mit dem Irakkrieg zu tun. Im entscheidenden Moment zählt NUR das Gesamtpaket aus Song und Performance, nichts anderes. Die Ukraine ist nicht ohne Grund eine der erfolgreichsten ESC-Nationen überhaupt und hat in der Vergangenheit schon oft gezeigt, dass sie auch schwache Songs (2006! 2011!) so auf die Bühne bringen können, dass ein Momentum generiert wird. Das wurde dann auch entsprechend honoriert. In diesem Jahr ist der Song sehr stark und wird vermutlich, wenn alles klappt, auch wieder sehr gut auf die Bühne gebracht werden. Und DAS wird dann honoriert werden, nicht die äußeren Umstände.

Nochmals: Hoffen wir, dass Kalush Orchestra die Zeit bis Mai unversehrt überstehen und auftreten können. Und dass sie und ihre Landsleute baldmöglichst wieder ein friedliches Leben führen können.

PS: Fuck Putin!

ESC 2022: Zweite Hälfte der ersten Hälfte des ersten Semis

Niederlande: S10 - De diepte

Auch die Niederlande seit 2010 zum ersten Mal wieder in Landessprache. Überhaupt, eine erfreuliche (wenn auch nicht unerwartete) Fülle an landessprachlichen Beiträgen. Der Kontrast zu 2010 ist allerdings krass, denn das hier geht heftig unter die Haut. Wenn ich den Text richtig verstehe, geht es um eine gescheiterte Beziehung, die die Sängerin nicht loslassen will. Den Schmerz transportiert das Lied vortrefflich, es war hier drei Minuten lang still. Und das Beste: Man kann hier bei der Bühnenshow nur wenig falsch machen, wenn man das Lied einfach wirken lässt. Das ist sehr, sehr gut!

Chancen aufs Finale? Was heißt da Chancen? Das ist ganz sicher drin.

Amsterdam 2023? Dark Horse.

9/10 (Kinder 9 und 8,5)



Schweiz: Marius Baer - Boys Do Cry

Nach drei grandiosen Jahren geht es für die Schweiz wieder ins Niemandsland. Zumindest fürchte ich das. Wir waren nach dem Hören des Songs allesamt erstmal eine Runde ratlos. Ja, das Lied ist schön und ist auch schön melancholisch, aber die Messlatte liegt nach den letzten beiden Jahren diesbezüglich extrem hoch. An Gjon kommt Marius weder optisch noch stimmlich annähernd ran, obwohl er ebenfalls eine schöne Stimmfarbe hat. Aber der Song ist leider ein bisschen langweilig.

Chancen aufs Finale? Das dürfte sehr eng werden.

Zürich 2023? Nein.

6/10 (Kinder 5,5 und 5,5)



Slowenien: LPS - Disko

Kommentar meiner Tochter: "Das fängt an wie das Intro zu einer Talkshow". Oh ja. Mit dem ganzen Song könnte man eine Samstagabendshow untermalen. Dabei gibt es eine ganze Menge Gutes: Das Lied ist in Landessprache, und es passiert auch jede Menge im Song. Von Langeweile kann also beim besten Willen keine Rede sein. Ob der doch schon sehr altmodische Sound bei der abstimmenden Masse so gut ankommt? Da bin ich mir nicht sicher ...

Chancen aufs Finale? Puh.

Ljubljana 2023? Nein.

6/10 (Kinder 6 und 5)



Ukraine: Kalush Orchestra - Stefania

(Anmerkung: Wir behandeln diesen Beitrag hier zunächst wie alle anderen. Es kommt nachher noch ein gesonderter Artikel dazu)

Wenn man sich  mal überlegt, dass das hier "nur" der Zweite der ukrainischen VE war (die Erstplatzierte hat zurückgezogen), dann kann man nur sagen: Respekt. Die haben echt immer Hochkaräter am Start. Auch in diesem Jahr. Der Beitrag ist wieder in Landessprache (auch die Ukraine ist diesbezüglich inzwischen auf den Geschmack gekommen) und verbindet Folk- mit Rapelementen. Die wollen es mal wieder wissen, und wenn ich mir überlege, wie die Ukraine üblicherweise ihre Beiträge auf die Bühne bringt, dann haben wir hier einen sehr ernsthaften Anwärter für die Krone. Das ist grandios!

Chancen aufs Finale? Die Frage ist doch wohl eher, ob sie das Semi gewinnen.

Kyiv 2023? Das ist ein ernsthafter Siegesanwärter, ja.

8/10 (Kinder 8-9 und 8-9)

ESC 2022: Erste Hälfte der ersten Hälfte des ersten Semis

Albanien: Ronela Hajati - Sekret

Albanien macht was, was es nachgewiesenermaßen richtig gut kann: Einen Song mit einer laut singenden Frau bringen, der beim ersten Mal supersperrig ist und sich danach mööööglicherweise richtig gut in die Gehörgänge fräst. Vielleicht aber auch nicht, das kann ich noch nicht sagen. Jedenfalls hätte man den Wechsel ins Englische lieber sein und den ganzen Song auf Albanisch lassen sollen. Man merkt eh keinen Unterschied. Das offizielle Video ist ziemlich irritierend ("das Beste ist die Burg"), man wird sehen, wie das Ganze dann auf der Bühne umgesetzt wird. Ronela means business, ich denke, sie wird eine sehr gute Bühnenpräsenz haben (ähnlich wie Anxhela letztes Jahr). Im Dunkeln möchte ich ihr trotzdem nicht begegnen.

Chancen aufs Finale? Wenn sie es nicht versemmeln, ja.

Tirana 2023? Dafür ist es zu sperrig.

5 /10 (Kinder 4 und 4)



Bulgarien: Intelligent Music Project - Intention

War das da SIMON PHILLIPS im Video?! Frau Fabian ist gerade mal eine Runde starstruck. Davon ab: Das fing genau wie was an, was ich supergern höre, allerdings kam es danach nicht so richtig aus dem Quark und entwickelte sich nicht. Ausnahme: Die Bridge, die fanden wir richtig gut. Aber alles in allem muss man sagen: Das wird leider nix. Schade. 

Kleine Randnotiz: Zwischenzeitlich schnellte Bulgarien mal für ein Stündchen auf Platz 3 der Quoten - weil irgendein frustrierter Fan auf dem offiziellen Twitterkanal des Senders das Gerücht kolportiert hatte, dass IMP durch Kristian Kostov ausgetauscht würde. Leider nur ein Gerücht. Hallo Sender aus Bulgarien, wir winken dann mal alle mit Zaunpfählen!

Chancen aufs Finale? Die Erfolgssträhne wird wohl enden. Leider. 

Sofia 2023? Nope.

7 /10 (Kinder 7 und 7)



Lettland: Citi Zēni - Eat Your Salad

Pollapönk meets Stefan Raab. So doof, dass es schon wieder gut ist. Die Letten stehen ja bekanntlich nach ein paar sehr erfolgreichen Jahren am Anfang im Grunde seit 2009 mit dem Rücken zur Wand. Bis auf die beiden Aminata-Jahre gelang kein Finaleinzug mehr, stattdessen sammelte man letzte Plätze im Semi. Also dachte man sich, was solls, hauen wir doch einfach auf den Putz, wenigstens Spaß gehabt dabei. Und Spaß machts. Selbst wenns ein Guilty Pleasure vor dem Herrn ist. Darauf ein Salatblatt!

Die Kinder hauen mir gerade jede Menge Herr-der-Ringe-Parodie-Zitate um die Ohren: "Ihich? Soll Salat essen? Scheiße, nein! Ich bin hier, um am Pool zu chillen, und dann .... Was machen eigentlich die Hobbits?"

Chancen aufs Finale? Wohl eher was für die Sammlung, siehe oben. Andererseits: Pollapönk hatte ich seinerzeit auch nicht auf dem Zettel.

Riga 2023: Jepp. Aber nur für die lettische Vorentscheidung. Sonz nich.

7 /10 (Kinder 7 und 6)



Litauen: Monika Liu - Sentimentai

Nach Aussage der Kinder könnte dieses Lied prima als Hintergrundmusik bei einem (Zitat) Mordkrimi laufen. Monika singt diesen sehr, sehr klassischen Eurovisionssong in litauischer Sprache sehr kompetent. Die Frisur ist gewöhnungsbedürftig, hat aber weiland Mireille Mathieu auch nicht geschadet. Nur die "huuuhs" und die Publikumsanimation sollte sie lassen. Meins ist es nicht, aber das ist typisches Juryfutter. 

Chancen aufs Finale? Die Jurys werdens richten. Bei den Televotern wird es eher keine Rolle spielen.

Vilnius 2023: Nein.

5/10 (Kinder 5 und 4-)



Moldawien: Zdob și Zdub & Frații Advahov - Trenulețul

Es kommt ja selten vor, dass ich einen nichtdeutschen Song vor dem ersten Hören hier schon kenne. Den hier hatte ich allerdings schon mal gehört. Der hat mich beim ersten Hören mitgerissen, und beim zweiten direkt nochmal. Zdob si Zdub are back, und nach dem unsäglichen "So lucky" vor elf Jahren geben sie uns dieses Mal die volle Folklore in der Bahn von Chisinau nach Bukarest, und wir lieben jede Sekunde davon! 24 rumänische Punkte sind damit schon mal sicher - im Finale wohlgemerkt. Den Rest wird die Bühnenpräsenz des immer durchgeknallter werdenden Roman Iagupov und die Erfahrung seiner Truppe richten. We like a lot!

Chancen aufs Finale? Aber sowas von!

Chisinau 2023? Das glaub ich nicht.

9/10 (Kinder 8-9 und 7)

Mir san am Start...

 ... Klunker vierazwanz Karat, unser Bier hat ans-zwa Grad ...

Jawoll, dieses Jahr sind wieder WIR am Start. Nachdem meine Kinder sich letztes Jahr bitter beschwert haben, dass ich sie nicht in die Songbesprechung mit reingezogen habe, dürfen / müssen sie dieses Jahr wieder mit ran. Daher werden wir das ganze auf die nächsten Tage strecken, mehr als neun Songs auf einmal schaffen wir in dieser Konstellation nicht am Tag. Aber das macht nix, so habt Ihr länger was davon. Bier haben wir keins, aber wir können das selbstverfreilich auch ohne.

Also denn, meine Damen und Herren, bringen Sie Ihren Sitz in eine aufrechte Position und befestigen Sie Ihren Sicherheitsgurt, denn jetzt geht! Es! LOOOOOOOOOOS!

Samstag, 5. März 2022

DVE 2022: Viele Tiefen und ein Höhepunkt

Im Moment sind die Zeiten bekanntlich sehr schwierig und düster. Und so durfte man sehr gespannt sein, wie man denn in solchen Zeiten eine deutsche Vorentscheidung zum ESC gestaltet. Das ist sicherlich keine einfache Aufgabe gewesen. Ist sie denn unter den Umständen gut gelöst worden? Schauen wir mal.

Positiv ist sicher, dass die Show von der Sendung "Solidarität mit der Ukraine" (Name aus dem Gedächtnis zitiert, ich hab sie nicht gesehen) umrahmt wurde. Man hat das Thema nicht totgeschwiegen (was weder möglich noch angemessen gewesen wäre), sondern versucht, es so gut wie möglich irgendwie in die Show zu integrieren. Auch die vielen vielen Solidaritätsgesten von Künstlern und Publikum (die Masken!) sind mir sehr positiv aufgefallen.

Das war es aber leider auch schon fast mit den guten Eindrücken. Moderation und der größte Teil des Rahmenprogramms vermochten mich leider so gar nicht zu überzeugen - nein, auch das ins Medley eingebettete "Ein bisschen Frieden" nicht. Und wenn Gitte Haenning schon als Überraschungsgast auftritt, täte man gut daran, sie nicht im Vorspann zu erwähnen.

Breiten wir über das Drumherum lieber den Mantel des Schweigens - wobei wir den nachher nochmal kurz lupfen werden. Aber bevor wir das tun, ein Blick auf die Beiträge.

Ich hab es ja in meinem vorvorletzten Posting schon geschrieben, dass ich die Auswahl der Beiträge milde gesagt problematisch finde. Durchhörbarer Radiopop, zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Das heißt, man hatte als Zuschauer wirklich nur die Wahl zwischen lauter Optionen, die eigentlich keine waren.

Schauen wir sie uns an:

1. Malik Harris - Rockstars

Malik ist sympathisch, hat Stimme, Ausstrahlung und Bühnenpräsenz. Die Musik seines Songs erinnert mich SEHR an "Teenage Life" von Daz Sampson (UK 2006), In der ersten Minute des Songs bediente er drei verschiedene Instrumente. Kann man machen, muss man nicht. Trotzdem war das so weit okay und hat dann schlussendlich auch gewonnen. Ein Sieger mit dem ich gut leben kann. Bis Turin kann man an der Bühnenshow noch feilen, auch wenn Malik sagt, dass er das gar nicht kann ohne die Instrumente. Da müssen sie ihn noch ein bisschen aus seiner Komfortzone rausholen. Blamieren werden wir uns mit diesem Paket in Turin nicht, auch wenn ich nicht glaube, dass es im derzeitigen Zustand eine Chance auf die Top 20 hat. Aber daran kann man ja noch arbeiten.

Auf jeden Fall mal: Herzlichen Glückwunsch, lieber Malik!


2. Mael & Jonas - I Swear to God

Jede Menge sympathisches Koblenzer Chaos und zu meiner gigantischen Überraschung die eindeutigen Sieger des Radiovotings, dazu später noch mehr. Leider ist der Song zumindest in musikalischer Hinsicht nach einer Minute auserzählt, und deshalb haben sich die drei Minuten auch ziemlich in die Länge gezogen. Aber die beiden sind sympathisch, hatten Spaß auf der Bühne und haben keinen unangenehmen Eindruck hinterlassen. Mehr kann man nicht wollen. Schade, dass sie nicht mit dem Bulli auf die Bühne fahren durften. Aber ich vermute, das wäre in Turin auch nicht gegangen. Den Hinweis, dass auch Thomas Anders aus Koblenz stammt, hätte sich Babsi übrigens besser gespart.


3. Eros Atomus - Alive

Einen Song mit dem Text "it's great to be alive" zu singen ist im Moment sicherlich auch nicht ganz unproblematisch. Zum Glück hat Eros sein Einspielfilmchen gerettet, wo er erklärt hat, was ihn zu dem Song inspiriert hat. Er wirkte auch sehr sympathisch auf der Bühne, allerdings hatte ich insbesondere im Refrain das Gefühl, dass er mit angezogener Handbremse singt. War das die Abmischung oder war das die Tatsache, dass er wirklich nur 75% gegeben hat? Junge, bei so einem Event muss man Vollgas geben! 100%! 120%! 150 %!


4. Emily Roberts - Soap

Wo soll man da anfangen? An ihrem Kleid scheiden sich die Geister, an ihrem Liedchen auch, die Inszenierung mit den Tänzern in den Seifenblasen war zwar gut gemeint, verpuffte aber vollends. Im ersten Refrain verlor sie auf der Suche nach den Tönen die Orientierung, und in der zweiten Strophe war der Text weg. Das hab ich auch seit Steffi Hinz 1986 nicht mehr erlebt. Das sind so Momente, wo es einem auch als Zuschauer die Sprache verschlägt. Das darf nicht passieren, vor allem darf man nicht so damit umgehen. Als Krönung thematisiert sie diesen Aussetzer auch noch im Gespräch mit Babsi nach ihrem Auftritt. Leute, das ist hier kein Nachwuchswettbewerb, sondern die Ernennung des deutschen Vertreters für die größte Musikshow der Welt!

Liebe Emily, falls Du das hier lesen solltest, mal ein paar Ratschläge von jemandem, der fast 20 Jahre länger Musik macht, als Du überhaupt auf der Welt bist: Egal was Du auf der Bühne machst, mach es mit Überzeugung! Wenn Du schief singst, muss es so klingen, als ob das so sein soll! Wenn Du den Text der zweiten Strophe vergisst, sing die erste! Und vor allem: Thematisiere Deine Aussetzer um Gottes Willen nicht auch noch!


5. Felicia Lu - Anxiety

Meine Favoritin im Vorfeld, und sie bekam auch meine Stimme im Onlinevoting. Ja, sie wollte das unbedingt und ja, sie hatte den interessantesten Song im Wettbewerb. Der war auch gut inszeniert, aber dennoch leider nur der Einäugige unter den Blinden. Auch bei Felicia hätte ich mir gesanglich viel mehr Wumms und eine weniger hohe Quote von nicht genau getroffenen Tönen gewünscht. Wir fanden es das beste Gesamtpaket, waren aber nicht 100% überzeugt. Dass sie trotzdem nur Vierte geworden ist und im Televoting gar nur Fünfte, ist schon echt arg. Ich hoffe, sie kommt nochmal wieder, dann aber mit einem Killersong!


6. Nico Suave und Team Liebe - Hallo Welt

"Hallo Welt", ja sind wir denn ein Computer? Jeder, der mal programmiert hat, kennt diesen Satz, aber aus ganz anderen Zusammenhängen. Dieser Song war indes nichts für Nerds. Eher für Leute, die sich mal richtig schön fremdschämen wollen. Warum dieser Song überhaupt im Aufgebot gelandet ist - man weiß es nicht. Auf Deutsch, 30 Sekunden zu lang, benutzte Markennamen, und der Text "Hallo Welt, wie geht's dir, warum so down, warum gibst du negativen Vibes nur so viel Raum" wurde zwei Tage später passend zur aktuellen Situation umgeschrieben. Letzter Startplatz, einziger deutschsprachiger Song, Text passend zum Krieg hingeschnitzt - die Befürchtungen waren gigantisch, dass das am Ende noch durchmarschiert. Der Auftritt war dann auch einer der besseren, leider, oder vielmehr, glücklicherweise hat man vom Rapteil kaum was verstanden. Letztendlich ist der Kelch den Votern sei Dank an uns vorübergegangen.


Apropos Voting: 50% der Punkte wurden im Vorfeld beim Online-Voting ermittelt, 50% beim Televoting in der Sendung. Und das Online-Voting sah so aus:

Mael & Jonas: 8 x 12 Punkte, 1 x 10 Punkte

Malik Harris: 7 x 10 Punkte, 1 x 8 Punkte, 1 x 12 Punkte

Felicia Lu: 8 x 8 Punkte, 1 x 10 Punkte

Nico Suave und Team Liebe: 9 x 7 Punkte

Eros Atomus: 8 x 6 Punkte, 1 x 5 Punkte

Emily Roberts: 8 x 5 Punkte, 1 x 6 Punkte

Irgendwie war man sich da schon sehr sehr SEHR einig. Was davon zu halten ist? Ich weiß es nicht. Angeblich wurde ja immer nur eine Stimme pro Nase gezählt, aber irgendwie ist das Ergebnis doch schon leicht fischig. Darüber wird sicher noch zu reden sein.

Das Televoting hat es dann nochmal etwas auf den Kopf gestellt. Die Anrufe wurden ebenfalls in Punkte umgerechnet, und zwar entsprechend der Anteile aus 432 Punkten (in Summe waren es am Ende durch die erfolgten Rundungen 433 Punkte, aber who cares). 

Das führte letztendlich zu folgendem Gesamtklassemang:

1. Malik Harris 208 Punkte (90 vom Online-Voting + 118 vom Televote)

2. Mael & Jonas 185 Punkte (106 + 79)

3. Nico Suave und Team Liebe 155 Punkte (63 + 94)

4. Felicia Lu 139 Punkte (74 + 65)

5. Eros Atomus 123 Punkte (53 + 70)

6. Emily Roberts 53 Punkte (46 + 7).


Alles in allem war das ein Abend, wo mich sehr vieles enttäuscht hat und kaum was begeistern konnte. Insbesondere von den Teilnehmern selbst habe ich keinen gesehen, der derzeit international mithalten könnte.

Aber einen Auftritt gab es dann doch noch, der für ein bleibendes Momentum gesorgt hat. Jamala, ESC-Siegerin von 2016, sang nochmal ihren Siegerbeitrag und gab danach auch noch ein kurzes Interview. Ehrlich, ich hab "1944" nie besonders gemocht, aber vorhin bei ihrem Auftritt hab ich geheult. Das war einer der intensivsten und bewegendsten Auftritte, die ich je gesehen habe. Durch den Krieg hat das Lied nochmal eine furchtbare Aktualität bekommen. Jamala selbst ist erst vor ein paar Tagen aus Kiew mit ihren Kindern zu ihrer Schwester nach Istanbul geflohen. Ihren Mann musste sie in der Ukraine zurücklassen. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass es in der Ukraine bald wieder friedlich ist und sie nach Hause zurückkehren kann.

Hoffen wir das beste. Vielleicht sieht die Welt im Mai ja schon wieder besser aus.