Samstag, 19. März 2022

Noch ein paar Worte zur Ukraine

 Ich habe den ukrainschen Beitrag im letzten Posting behandelt wie jeden anderen auch, aber natürlich sind hier dann doch nochmal ein paar ergänzende Worte nötig. Es ist ein sehr schwieriges Thema und ich hoffe, ich kann das, was ich sagen möchte, gut rüberbringen, und Ihr versteht es so, wie es gemeint ist.

Zuerst mal: Das Wichtigste im Zusammenhang mit diesem Beitrag ist, dass Kalush Orchestra bis Mai unversehrt bleiben und überhaupt erst mal antreten können. Das ist ja leider keineswegs gesichert, und ich wäre zwar sehr bestürzt, aber leider nicht überrascht, wenn die Ukraine aufgrund des Krieges dann tatsächlich noch zurückziehen müsste. Hoffen wir weiterhin, dass dieser völlig sinnbefreite Krieg schnellstmöglich endet.

Aus dieser Hoffnung heraus habe ich in der Songbesprechung auch "Kyiv [sic!] 2023?" untendrunter geschrieben, wohl wissend, dass das eine aus logistischen Gründen so gut wie unmögliche Option ist. Es fällt halt gerade sehr schwer, damit adäquat umzugehen. Falls es zu einem ukrainischen Sieg kommen sollte (was ja an sich was sehr Erfreuliches wäre, siehe Besprechung im vorigen Post), wird die EBU da sicher eine Option finden. Müsste sie im Falle eines australischen Sieges ja schließlich auch.

Nun ist es so, dass die Ukraine derzeit mit großem Abstand auf Platz 1 in den Wettquoten liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 34% und Quoten, die Måneskin nie auch nur ansatzweise erreicht haben. Das gab schon einigen in der Bubble zu denken, von wegen, die Ukraine würde in diesem Jahr auf jeden Fall wegen des Krieges den ESC gewinnen, und das sei wahlweise toll / blöd / total ätzend. 

Dazu drei Gedanken: 

1. Ich finde den Gedanken, es sei doch ätzend, dass die Ukraine wegen des Krieges und vieler aufgrund dieser Tatsache zu erwartender Mitleidspunkte den ESC gewinnen könnte, absolut beschämend und unangebracht. Seien wir froh, wenn die Ukraine überhaupt im Mai dabei sein kann, wie sie abschneidet, werden wir sehen. Da gibt es im Moment weiß Gott Wichtigeres als die Möglichkeit, man könne aus Mitleid den ESC gewinnen. Und selbst wenn: Warum ist das ein Problem?

2. Man kann Juroren und Televotern nicht in den Kopf gucken. Die Gründe, warum ein Beitrag den ESC gewinnt, wird man nie erfahren, man kann nur mutmaßen. Also kann man es auch lassen.

3. Nun gut, so ganz stimmt das nicht: Üblicherweise gewinnen Beiträge, die bei ihrem Auftritt ein gewisses Momentum schaffen. Aus Mitleid oder politischen Gründen hat noch nie jemand beim ESC was gewonnen oder verloren. Sonst hätten SuRie, Corinna May, Serafin Zubiri, Pertti Nurikan Nimipäivet, Monika Kuszynska oder Daniel Diges besser und die Tomachevy Sisters, Polina Gagarina oder Sergej Lazarev schlechter abgeschnitten. Und nein, die Null für Gemini 2003 hatte absolut nichts mit dem Irakkrieg zu tun. Im entscheidenden Moment zählt NUR das Gesamtpaket aus Song und Performance, nichts anderes. Die Ukraine ist nicht ohne Grund eine der erfolgreichsten ESC-Nationen überhaupt und hat in der Vergangenheit schon oft gezeigt, dass sie auch schwache Songs (2006! 2011!) so auf die Bühne bringen können, dass ein Momentum generiert wird. Das wurde dann auch entsprechend honoriert. In diesem Jahr ist der Song sehr stark und wird vermutlich, wenn alles klappt, auch wieder sehr gut auf die Bühne gebracht werden. Und DAS wird dann honoriert werden, nicht die äußeren Umstände.

Nochmals: Hoffen wir, dass Kalush Orchestra die Zeit bis Mai unversehrt überstehen und auftreten können. Und dass sie und ihre Landsleute baldmöglichst wieder ein friedliches Leben führen können.

PS: Fuck Putin!

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Servus Tamara! Zwelfbungt (Lucas) am Start, der normalerweise gerne bei aufrechtgehn.de kommentiert. Erst einmal vorweg: Schöner Artikel.

Das mit der Ukraine ist dieses Jahr ne echte Zwickmühle. Egal, wie das Abschneiden letztlich aussehen wird. Gewinnt die Ukraine es, gibt es eine Unzahl von Leuten, die von einem "Mitleidssieg" sprechen werden. Gewinnt die Ukraine es nicht, werden wiederum andere Leute mit dem Finger auf die Televote-/Juryergebnisse der Länder zeigen, welche der Ukraine wenig oder gar keine Punkte gegeben haben mit und sich fragen "Wie man doch nur so herzlos seien kann?!".

Ich wünsche der Ukraine persönlich, wie es jeder andere Mensch mit einem gesunden Menschenverstand tun sollte, dass dieser Krieg so schnell wie möglich endet. Ob sie im Mai in Turin dabei ist, egal ob jetzt in Präsenz oder durch die Live-on-tape-Möglichkeit, sehe ich noch nicht zu 100 % gegeben. Die Teilnahme der Ukraine wäre aber ein wichtiges Zeichen.

Zum Beitrag: Für mich definitiv kein Sieger, eher Mittelfeld. Wobei er musikalisch-objektiv betrachtet von den Top 3 der momentanen Betting-odds dem ESC am besten tun würde. "Brividi" ist zwar wieder ein toller italienischer Beitrag, aber für mich etwas zu überschätzt und ob die RAI einen Doppelsieg aus finanzieller Sicht gut finden würde, möchte ich auch mal stark bezweifeln. Und ein schwedischer Sieg würde, auch wenn ich es Cornelia so sehr gönnen würde, den ESC bei seiner momentanen positiven Entwicklung weg vom Schwedischen-Songwritingcamp-Mainstream wieder zurückwerfen. Womit ich übrigens nicht sagen will, dass Schweden nie wieder gewinnen darf. Für einen siebten schwedischen Sieg ist es aber einfach noch zu früh.

Die Ukraine hingegen versteckt sich auch dieses Jahr vor ihrer eigenen Kultur nicht, setzt der Veranstaltung ihren ganz eigenen Stempel auf, die Nummer macht Spaß und die Jungs haben Bock drauf. Das muss ich ihr lassen.

Tamara Fabian hat gesagt…

Hey Lucas, ich freu mich riesig, Dich hier zu lesen!

Ja, mal sehen, wie das mit der Ukraine wird ... man hat so ein bisschen das Gefühl, egal was passiert, es kann nur aus den falschen Gründen passieren. Und das hat dieser Beitrag nun wirklich nicht verdient.