Lieber Oliver,
soeben habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass aufrechtgehn.de sich aus dem deutschen ESC-Nachrichtenversum verabschiedet. Die Gründe kann man auf Deiner Startseite lesen, Das ist selbstverständlich zu akzeptieren, und ich kann Deine Beweggründe da durchaus auch nachvollziehen.
Dennoch lässt mich Dein Abschied von aufrechtgehn.de sehr traurig und bestürzt zurück. Da geht etwas, was für mich seit vielen Jahren untrennbar zum ESC dazugehört. Wenn ich mal so zurücküberlege, muss ich mich das erste Mal so um 2004 rum auf Deine Seite verirrt haben, also zu der Zeit, wo Du in Istanbul Deinem ersten Live-ESC beigewohnt hast. Damals steckte die ESC-Berichterstattung im Internet ja noch in den Kinderschuhen. Viele der Seiten, ohne die wir heute alle nicht mehr auskommen können, gab es noch gar nicht. Kein Wunder, dass ich auf Deine Seite kam, las und hängenblieb.
Da schreibt jemand, der für den ESC brennt. Der jedes kleine Schnipselchen inhaliert. Der Meinungen hat und sie vertritt. Der sich nicht scheut anzuecken und auch mal was zu schreiben, was vielleicht nicht jedem gefällt. Und: Der eine wirklich brilliante Schreibe hat.
Ich weiß nicht, wie viele überaus vergnügliche Stunden ich in den letzten 18 Jahren mit Deinem Blog verbracht habe, aber summa summarum dürfte man es inzwischen wohl in Wochen, vielleicht sogar in Monaten messen können. Denn aufrechtgehn.de war für mich immer eine Ganzjahresangelegenheit, bestens dafür geeignet, in der eurovisionsfreien Phase etwas zu haben, wo man hingehen und eurovisionären Spaß haben kann. Und den hatte ich! Ich weiß nicht, wie oft ich mich über eine von Deinen grandiosen Formulierungen beömmelt habe, wie oft ich sofort runtergescrollt habe, um meinen Senf zu Deinem Artikel dazuzugeben, wie oft ich mich gefreut habe, wenn Dir wieder mal was tolles Neues eingefallen ist. Ich denke da nur an das Songduell 2017 oder Dein Komplettranking 2019.
(Mein absolutes Highlight war übrigens ein Artikel vom 26. September 2010. Ich denke, Du weißt noch, welchen ich meine. Das war für mich eine unglaubliche Ehre! Alle anderen: In die Suchzeile mal meinen Namen eingeben und gucken, was da kommt.)
Vor allem aber warst Du immer am Puls des Geschehens, sobald die Saison losging. Immer wenn ich wusste, da steht wieder was an, kam ich alle paar Stunden auf Deiner Seite, um zu schauen, ob Du die neue Veranstaltung schon besprochen hattest. Und jedes einzelne Mal hab ich mich gefreut, wenn der neue Artikel da war. Insbesondere in den Probenphasen des ESCs war das sehr intensiv, weil sich dort dann auch oft entsprechende Prognosen von Dir fanden, und was ist spannender als Prognosen?
Am Ende ging es gar so weit, dass man Deine Nachbetrachtungen und andere amüsante Ansichten in Buchform erstehen konnte (Mario R. Lackner und Oliver Rau: "Friede, Freude, Quotenbringer: #60 Jahre Songcontest", ISBN 978-3902981578, gehört natürlich in jede Fan-Bibliothek!).
Natürlich war ich nicht immer Deiner Meinung. Über Tom Dice, Raphael Gualazzi, Sjonni's Friends oder Ryan O'Shaughnessy werden wir wohl ebensowenig in diesem Leben nochmal auf einen Nenner kommen wie über DQ (ups, jetzt bin ich persona non grata :D ), Hadise, Michael Schulte oder Sakis Rouvas' ersten Versuch. Aber letztlich macht das doch auch genau den Reiz des Ganzen aus. Wir diskutieren über und bewerten etwas, was eigentlich unbewertbar ist. Wenn alle die gleiche Meinung hätten, wär es ja langweilig. Und deshalb hab ich Deine Artikel auch dann sehr genossen, wenn Du meine Meinung mal wieder nicht geteilt hast.
So meinungsfreudig und wenig zimperlich Du in Deinen Postings mit den Künstlern auch warst, so freundlich, verbindlich und zugewandt warst Du immer in den Kommentaren, auch wenn Dir dort mal jemand quer kam. Nie bist Du ausfallend geworden, nie hast Du die Contenance verloren. Und auch bei den paar Malen, wo wir Mailkontakt hatten, habe ich Dich als auffallend freundlich und höflich erlebt. Das hat dazu geführt, dass ich mich auf Deinem Blog immer unglaublich wohlgefühlt und stundenlang mit Freude Deine Postings durchstöbert habe.
Nebenbei hat mir Dein wahnsinniger Einsatz immer wieder Respekt abgenötigt. Es gab in den letzten Jahren keine Vorentscheidung, die Du nicht kommentiert hast, kein Ereignis, das von Dir unbemerkt geblieben ist - und das als Ein-Mann-Show. Oft habe ich mich gefragt, wie Du es geschafft hast, das alles ganz allein zu stemmen. Und letztendlich ist das ja, wie man lesen kann, einer der Gründe, warum Du nun nicht mehr weitermachst.
Nun denn, wie ich oben schon schrieb, Deine Entscheidung ist zu akzeptieren und zu respektieren, und ich kann das irgendwo auch nachvollziehen. Wenn eine Sache, die man völlig unentgeltlich und rein aus Leidenschaft und Herzblut betreibt, zur Last wird, ist es wohl tatsächlich Zeit, die Last abzulegen, so schwer das für uns Leser auch ist. Ich bin sicher, dass Du Dir diese Entscheidung alles andere als leicht gemacht und sie Dir sehr gründlich überlegt hast.
Du hast auf Deiner Startseite das Cover von Hannes Schöners "Nun sag schon Adieu" als Bild zum Artikel ausgewählt. Ich leihe mir da die Worte von einer anderen großen Kölnerin: Niemals geht man so ganz... (Verdammt, jetzt kommen mir tatsächlich die Tränen!)
Will sagen: Lass, wenn es für Dich irgend machbar ist, die Seite so in dieser Form im Netz, wie Du es ja auch schon angekündigt hast. Und wenn die Zeiten wieder besser werden und Du vielleicht doch nochmal wieder Lust bekommst ... never say never, oder?
Auf jeden Fall hoffe ich, dass Du uns, wie Du in Deinem Abschiedsposting geschrieben hast, als ESC-Fan erhalten bleibst und dass wir Dich weiterhin in entsprechenden Kommentaren oder eben auf Twitter lesen dürfen.
Lieber Oliver, tausend, tausend Dank für die vielen tollen Stunden, die ich bei der Lektüre Deiner Artikel und beim Verweilen auf Deiner Seite haben durfte. Ich werde das entsetzlich vermissen und verneige mich vor Dir und Deinem großartigen Blog.
Alles Liebe und auf hoffentlich baldiges Wiederlesen,
Deine Tami
3 Kommentare:
Liebe Tamara, bei mir kommen auch die Tränchen ob Olivers Abschied... bin ich zu dir ja eigentlich nur über aufrechtgehn.de gekommen. Der Blog fehlt mir jetzt schon ganz entsetzlich...
Liebes Lihaenschen, mir auch ... und ich freu mich sehr, dass aufrechtgehn.de Dich zu mir geführt hat!
Wurde Zeit. Ich hab es die letzten Jahre nicht mehr gelesen und in diesem Jahr Mal ein wenig "überflogen". Unangenehm, biestig, arrogant.
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