Donnerstag, 9. Juni 2011

Der ESC 2011 im Nachtritt. Teil 6: Das Finale von vorne

Nach Jahren des Scheiterns gelang Slowenien dank der stimmstarken Maja Keuc zum erst zweiten Mal überhaupt der Einzug ins Finale. Doch so richtig im Gedächtnis blieb außer Majas guter Stimme und noch besserem Aussehen wenig – wie ging noch mal gleich die Melodie?


Auch beim zweiten Anlauf gelang den Krawalleros aus Moldawien, Zdob și Zdub, der Einzug ins Finale, wenn auch nur knapp mit einem Punkt Vorsprung vor den elftplazierten Belgiern. Und die Konkurrenz ist in den sechs Jahren, die seit dem Debüt 2005 vergangen sind, ist härter geworden. Zipfelmützen statt Trommeln, Schneewittchen auf dem Einrad statt Omi auf dem Schaukelstuhl, und viel Krach statt Witz. Für Abwechslung im Finale ganz nett, aber mehr auch nicht.


Georgien steht für Abwechslung bei ESC-Beiträgen, immerhin. Wo die kaukasischen Nachbarn so lange dasselbe Rezept wieder aufköcheln, bis sie entweder scheitern (Armenien) oder gewinnen (Aserbaidschan), probieren die Georgier immer etwas Neues aus. Das heißt, wirklich neu ist der Musikstil Eldrines auch nicht, höchstens für ESC-Verhältnisse, wo alles ein paar Jahr(zehnt)e später auftaucht oder auch nicht. Was man den Georgiern ebenfalls nicht vorwerfen kann, ist, daß sie gesangliche Schwachmaten ins Rennen schicken, denn im Gegensatz zu Armenien, das blind auf seine Diaspora vertraut, muß sich Georgien seinen Finalplatz hart erkämpfen. Und der war wohlverdient, wenngleich die Finalplazierung auch ein wenig höher hätte ausfallen dürfen.


Irland auf ungewohnten Pfaden: Erstmals seit 1969 erdreisteten sich die Bewohner der buttergrünen Feeninsel, einmal etwas Zeitgemäßes zu entsenden, und nicht nur erreichten sie damit das Finale, nein, sogar die beste Plazierung seit mehr als zehn Jahren wurde damit erreicht. Gesanglich ist das Zwillingspärchen Jedward natürlich vollkommen indiskutabel, aber die Bühnenshow war äußerst unterhaltsam, und in der Studioversion hört man diese Schwächen schließlich nicht, so daß auch einem Verkaufserfolg nichts im Wege stehen dürfte.


Griechenland macht derzeit schwere Zeiten durch, und entsprechend ist auch der heurige ESC-Beitrag geartet: Erst der Brabbelteil von Stereo Mikros, dann hochpathetisch-langtoniges von Lukas Giorkas, der trotz seines stimmbändlichen Danebenbenehmens das erste Semifinale gewonnen hatte. Zumindest bei den Plazierungen in der Eurovision ist von einer Krise der Griechen nichts zu spüren.


Ein simpelst gestrickter Schunkelschlager, angereichert mit Krankengymnastik, vorgetragen von einem vor allem im Semifinale hochgradig nervösen Dino Merlin – haben Bosnien & Herzegowina ernstlich geglaubt, damit den Pott nach Sarajewo zu holen? Wenn es nach den Juries gegangen wäre, hätten wir diese gehüpfte Midlife-Crisis nicht einmal im Finale wiedergesehen, so konnte Dino wenigstens noch die Punkte der Ex-Jugo-Nachbarn abgreifen.


Nun stoßen wir in Gefilde vor, deren Phänomene nur aus dem Reiche des Übernatürlichen entstammen können; angefangen mit Dänemark. Einmal mehr eine eklig-schleimige Mitklatschnummer, vorgetragen von einem Sänger, der uns dank Judith Rakers auch noch seinen offenliegenden Arschritzenschweiß-Zulauf in Großaufnahme zeigen durfte. Hätten A Friend in London doch bloß diesen besucht und uns mit diesem gesungenen Rotz zufrieden gelassen!


Nun ein Beispiel dafür, daß man auch ganz oben landen kann, wenn man es nur schafft, von seinem dümmlichen Lied und seiner scheußlichen Garderobe abzulenken. Nicht Mika Newton hat für die seit jeher chronisch überbewertete Ukraine den vierten Platz eingefahren, sondern die Sandmalerin Xenia Simonova. Vielleicht sollte die eingebildete Newton (sinngemäß: „Wenn ich Millionen hätte, wäre für mich die Eurovision doch uninteressant“) zu ihrer Single eine Handvoll Sand zum Selbermalen dreingeben. Oder gleich nur den Sand verkaufen. Musikalisch läuft es eh auf dasselbe hinaus.


Schweden nun lieferte einmal mehr das beste Pro-Argument für alle Spötter des ESC: Musikalische Minimalgrütze mit dümmlichem Holzhammerrefrain, dargeboten von einem minderjährig wirkenden, hyperaktiven Quakfrosch namens Eric Saade, unterstützt von irgendeinem überflüssigen Schnickschnack auf der Bühne, damit die Leute dran denken, wenn Melodei und Land schon längst im Orkus des Vergessens gelandet sind. Funktioniert hat es ja, aber ob dieses Lied sich als Sieger wesentlich besser verkauft hätte als z. B. ein Dirna Billig, der es in Deutschland mit Ach und Krach und trotz Dauerrotation auf VIVA nicht einmal unter die ersten Fünfzig geschafft hat, ist mehr als fraglich (gut, der Marquis de Saade schaffte immerhin Platz 48). Aber nun haben die Rückblicker der nächsten fünfzig Jahre wieder etwas Neckisches, worauf sie zurückblicken können, eine Nadine Beiler gibt da zu wenig Albernes ab.


In einem Jahr, wo sich Wettbüros, Anrufer und Juries nicht eins sind, wer jetzt Erster werden soll, schafft es wohl derjenige, der am wenigsten aneckt. Das war dieses Jahr Aserbaidschan, der kleine, unsympathische Bruder der Türkei, der sich im Dauerclinch mit einem gewissen Nachbarlande befindet, das aus daher leicht einsehbaren Gründen nächstes Jahr freiwillig auf eine Teilnahme verzichten wird und uns somit wenigstens ein garantierter Scheißbeitrag erspart bleibt. Was machte Ell & Niki oder Alder und Nigga, wie die beiden vermutlich in echt heißen, also so besonders? Ihre gesanglichen Unzulänglichkeiten? Sein Welpenstatus? Die an diverse US-Kompositionen angelehnte, aber aus Schweden importierte Musik, die gleich jedermann als ursprünglich aserbaidschanisch erkennt? Wie dem auch sei, gewonnen hat also ein Land, bei dem die meisten nicht einmal wüßten, wo auf der Landkarte sie es suchen sollen mit einem Lied, das man wohl gleich vergeblich in den Hitlisten suchen wird. Nächstes Jahr also auf nach Baku im [hier bitte den Namen des noch zu errichtenden Gebäudes eintragen]!

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