Dienstag, 7. Juni 2011

Der ESC 2011 im Nachtritt. Teil 5: Das Finale von hinten

Die Schweiz einmal mehr in Gefilden, wo sie sich gut auskennt: Im tiefen Tal der hintersten Plazierungen. Aber man sollte auch das Gute daran sehen: Anna Rossinelli wurde Letzte im Finale! Wann war zuletzt ein echtes Schweizer Produkt dort aufzufinden? Da muß man wirklich bis ins Jahr 2002 zurückgehen, als Francine Jordis Seelengärtchen das hintere Feld aufmischte. (Die estnischen Legionärinnen von 2005 sowie das eine Sechstel Schweiz dieses elenden Kunstprodukts von 2006 zählen wir mal nicht mit.) Und nach Jahren des Scheiterns eröffnete Anna damit immerhin eine neue Perspektive für ihr Land. Ach so, ein Lied gab es ja auch noch: Aus dem unfertigen Entwurf wurde im Laufe der Monate immerhin etwas Halbgares, und der unaufgeregte Auftritt im Semi war zwischen den Krawallnummern aus Rußland und Georgien gar nicht einmal so ungeschickt plaziert, aber im Finale mußte es zwischen Italien und dem Vereinigten Königreich abschmieren.


Ob es in der Rockefeller Street auch Gesangsschulen gibt? Estlands Vertreterin Getter Jaani hätte einen Besuch derselben bitter nötig gehabt. Oder zumindest ein paar Ausdauerübungen. Mit ihrer Kurzatmigkeit hätte sie ihr Land um ein Haar ein weiteres Mal ins Semi-Aus katapultiert, und nur den Juries verdankte sie ihr Weiterkommen, wofür dann Weißrußland gekippt wurde. Im Finale nützte ihr das aber alles nichts, und als Letzter im Pulk von vier schnelleren Nummern stach Getter nur durch ihre Bauklötzchen und ihre bereits erwähnte Kurzatmigkeit auf – beides nichts, wofür man anruft.


Was sich die Estin durch übermäßige Zappelei verdarb, wußte sich Kati Wolf aus Ungarn durch ihre Statik zu vermasseln. Es ist aber durchaus schon eine Leistung, ganze drei Minuten zu einer Disconummer steif wie ein Brett herumzustehen und dann auch noch falsche Töne einzubauen (wobei es in der Halle vor allem im Semifinale bei weitem nicht so schlimm klang wie im Fernseher). Ansonsten fiel auf, daß die Ungarn immer noch sparen müssen, und so wurde kurzerhand ein Vorhang aus Katis Wohnzimmer zu ihrem Kleid umfunktioniert, teilweise gehalten von einem farblich passenden Riesenplastikklunkerring aus dem Kaugummiautomaten. Als erster Starter des Viererblocks aus schnellen Nummern geriet der umhangbewehrte Besenstiel natürlich rasch in Vergessenheit.


Nach dieser Plazierung (aber immerhin im Finale) dürfte das besungene schlaue Peterchen aus Finnland wieder viel Zeit haben, um die Welt zu retten. Es ist aber auch gemein, wie arg der Paradies-Vogel Oskar auf visuelle Verführung setzte und sich mit der auftauchenden Weltkugel ins Finale sang. Aber der erste Startplatz im Finale war dann wohl das Todesurteil, denn schlechter wurden weder Auftritt noch das ohnehin schon schlimme Lied.


Wie Island zu seinem heurigen ESC-Beitrage kam, ist schon eine (für den Vorentscheid nicht sonderlich rühmliche) Geschichte für sich, aber dann auch noch ganz Europa mit dieser Gefühlsduselei zu belästigen und damit einem anderen Land einen Finalplatz wegzuschnappen, nur um anschließend noch tiefer zu landen als Hera Björk – das hätte wirklich nicht sein müssen. Das war einfach nur ein übler, auf unerträgliche Fröhlichkeit getrimmter Dänenschlager der 90er, der aber offenbar heute noch seine Freunde findet (außer in Dänemark).


Litauen konnte sich überraschenderweise auch einmal über einen Finaleinzug freuen, warum auch immer. In der zweiten Strophe wildes Gestikulieren der Sängerin Evelina Sašenko in Gebärdensprache, warum auch immer. Im Finale dann ein tiefer Fall speziell in der Gunst der Juries, warum auch immer. Irgendwie braucht der Grand Prix wohl immer eine zur Langeweile neigende, mit großer Gestik und Stimme dargebotene Ballade im Finale, warum auch immer.


Österreich gab sich heuer alle Mühe mit seinem Vorentscheid, und was hat es gebracht: Große Namen im Vorentscheid, die jedoch zum Teil von der ORF-Jury hinausgekegelt wurden, dennoch mindestens drei großartige Nummern im Finale, und dann das: Nadine Beilers unerträgliche Schnulze gewinnt haushoch. Wenn man sich das Ergebnis ansieht, kann der ORF allerdings recht zufrieden sein, denn sogar nach dem alleinigen Wunsche der Zuschauer wäre die Beilerin im Finale gelandet, und die Inszenierung des Spatzes von Inzing am Inn bei Innsbruck war auch mehr als gelungen. Nächstes Jahr darf Österreich dann auch bitte ein Lied, das als solches zu erkennen ist, zum Interpreten wählen.


Noch so ein Dänenschlager, dieses Mal allerdings von einem Briten für Rumänien vorgetragen, der dermaßen schleimig in die Kamera grinste, daß man hinterher vor dem Fernseher putzen mußte. Ansonsten ein langweiliges Radiodudellied, das auf einem ebenso uninteressanten Platz gelandet ist.


Da erhält Rußland endlich einmal die langverdiente Klatsche, bekommt nicht einmal von Weißrußland zwölf Punkte (wenn da mal jemand nicht das Gas abgedreht bekommt), wird Letzter in der Jury-Wertung – und plötzlich fragt man sich, warum eigentlich? Man bedenke, vor drei Jahren gewannen die Russen mit demselben Rezept den ganzen Rotz, nur daß Aleksej Vorbobjov (oder Alex Sparrow, wie er sich für den Bewerb nennen mußte) wirklich singen und tanzen kann und dabei nicht wie Dirna Billig ständig aussieht wie zugedröhnt. Daß der Komponist seines Liedes auch für Lady GaGa arbeitet, dürfte wohl bei keinem Kommentator unerwähnt gelassen worden sein, aber vielleicht war gerade das das Todesurteil für Alex, denn das Lied wirkte wie aus drei, wenn nicht gar vier Liedern mühsam zusammengetackert, beginnend mit dem überhaupt nicht passenden Acapella-Intro auf Russisch, gefolgt von der völlig melodiefreien Strophe, der wiederum die Bridge mit Ansätzen zur Melodie folgte und schließlich in den an Italodisco erinnernden Mitgrölrefrain mündete. Aber da war es wohl schon zu spät. Und ob es so gut ankam beim Publikum, daß Alex nach seinem Auftritt gar nicht mehr von der Bühne herunterwollte, als probte er schon mal für seinen Siegerauftritt, sei auch dahingestellt. Vielleicht hätte der Russe auch Glas zerdeppern sollen.


Serbien war dieses Jahr das einzige Land, das komplett in Landessprache sang und damit auch das Semifinale überstanden hat. Ansonsten bleibt halt nur das Prilblumenmuster und die Tapeten unserer Eltern Kinderzimmer vom Auftritt in Erinnerung. Stimmlich war Nina ganz auf der Höhe, und die niedliche Choreographie dürfte wohl ihr Übriges dazu beigetragen haben, Sympathien für den serbischen Beitrag zu sammeln. Für eine Plazierung weiter oben war das aber nicht genug.

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