Freitag, 19. März 2010

Estland: Malcolm Lincoln – Siren


Estland, der kleine Bruder Finnlands mit der noch „lustigeren“ Sprache und den aber viel besseren Plazierungen bei der Eurovision. Estland, das gemeinsam mit den baltischen Nachbarn Lettland und Litauen die Sowjetherrschaft totgesungen hat. Estland, das mit noch nicht einmal anderthalb Millionen Einwohnern eine Musik produziert, daß es einem in anderen Ländern mit sagen wir einmal über achtzig Millionen Einwohnern nur die Schamesröte ins Gesicht treiben kann.
Dieses kleine, wackere Estland nun hat dieses Jahr die für meinen Geschmack vielleicht nicht technisch, aber auf jeden Fall musikalisch beste Vorentscheidung auf die Beine gestellt: Zehn Lieder, sechs davon in Landessprache, jedes davon auf seine Weise ein Kunstwerk für sich. Vor allem: Nahezu kein Titel war das, was man auf Anhieb als übliche Eurovisions-Kost erkennen konnte; am nächsten kamen der vielleicht noch die Drittplazierten, die Gruppe Violina mit der Stimme von Rolf Junior, der sich als He-Man verkleidet hatte und „Maagiline päev“ (Zauberhafter Tag) sang.
Nach dem Superfinale mußte sich dann Lenna Kuurmaa, international bekannt als Sängerin der Gruppe Vanilla Ninja, mit ihrem Titel „Rapunzel“ (könnte man mit „Feldsalat“ übersetzen, sollte man aber nicht) geschlagen geben – und das ausgerechnet wegen eines Titels, den ich als einen von dreien des heurigen Vorentscheids nicht sonderlich mochte:
Malcolm Lincoln (am Namen erkennt man den estnischen Ureinwohner) bejammert drei Minuten lang seine „Siren“ (Sirene), ihm doch bitteschön Kraft zum Weitermachen zu schenken. Rein akustisch fast eine Zumutung, aber ich muß zugeben, daß sein Auftritt einer der besten des Abends war, auch und gerade gesanglich (da gab es vor allem unter den drei ersten Startern doch reichlich Ausfälle). Sein Spiel mit der Kamera überzeugte. Nur den Chor sollte man etwas anders ins Bild rücken, die Herren sahen je nach Laune aus, als ob sie gähnten oder das vor ihnen stehende Mikrofon verschlucken wollten.
Musikalisch läßt sich der estnische Beitrag schwerlich einordnen, aber es läßt sich leicht sagen, was er nicht ist: Kein Schwedenschlager, wie er nur im Melodifergevaltigen und im Anschluß bei der Eurovision vorkommt (obwohl die Schweden heuer selbst dieses Genre daheim ließen), kein weichgespülter Bloßkeinenerschreckensong jemandes, der sonst was Anderes produziert und auch keine Ballade, was heuer ohnehin überflüssig wie ein Kropf gewesen wäre. Es bleibt was ganz Selbständiges zumindest im Rahmen dieses Wettbewerbs. Und genauso eigenartig kommt übrigens auch das Video zu diesem Beitrag daher: Man sieht einen Menschen mit überdimensioniertem Kopf (Kenner des rheinischen Karnevals fühlen sich sogleich an die Mainzer Schwellköppe erinnert) durch den Wald irren und ein hell erleuchtetes Häuschen erreichen – aus. Kunst oder Unvermögen?
Das Finale sollte jedenfalls mit einer solch herausstechenden Nummer locker zu schaffen sein, ob es auch für eine Spitzenplazierung reicht, ist eher fraglich. Jedenfalls gehört der Mut allein schon belohnt.


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