Mittwoch, 13. April 2022

ESC 2022: Ein erstes Fazit

So, das waren sie nun, unsere 40 Tapferen. Was soll man nun davon halten?

Das ganz große Desaster ist ausgeblieben, ich glaube, unsere niedrigste Punktzahl waren zwei Punkte. Sowas hatten wir selten. Aber auch oben ist die Luft im Vergleich zu 2014, 2016, 2018 oder 2021 sehr dünn, es gibt nur wenig, was uns wirklich vom Hocker gehauen hat. Auffallend viele Beiträge sind sehr glattgebügelt, auch wenn ich das nicht überall erwähnt habe. Vieles geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Radiotauglich, könnte man sagen, was im deutschen ESC-Fantum seit der diesjährigen VE ja schon einem Schimpfwort gleichkommt. Ich verstehe es auch nicht so ganz. Klar, man will nicht nur gut abschneiden, sondern bitte hinterher auch einen Hit generieren, damit die Kasse klingelt. Aber klappt das wirklich noch, wenn der Song keine Ecken und Kanten mehr hat?

Außerdem auffällig: Üblicherweise wird sich gern mal stilistisch an den Vorjahressieger rangehängt. Davon ist in diesem Jahr eher wenig zu sehen. Dafür haben wir viele männliche Falsettgesänge. Erst haben wir gedacht, das sind noch die Nachwirkungen von "Arcade", aber nein - es ist vermutlich eher "Tout l'Universe"-Einfluss. 

Die Four-Chord-Songs halten sich dieses Mal in engen Grenzen. Das heißt aber nicht, dass musikalisch jetzt Bäume ausgerissen werden. 

Die Hoffnung auf mehr Beiträge in Landessprache hat sich leider nicht erfüllt. Einigen tut das Englisch gar nicht gut, aber dafür gibt es diesen einen Beitrag in einer Sprache, die nur von wenigen Menschen gesprochen wird. Trugarez, France!

Irgendwie liegt so eine Bleischwere über dem Jahrgang (allein die vielen besungenen Trennungsgeschichten!), was in Anbetracht der aktuellen Weltlage ja auch nicht ganz unverständlich ist. Es lässt mich alles eher ratlos bis emotionslos zurück. Wirklich berühren oder mitreißen tut mich kaum was. Vielleicht werde ich auch einfach nur langsam alt ("growing up is getting old" oder so)...

Anyway, wir werden sehen, was die Saison noch bringt. Die Vorzeichen sind nicht gut, hoffen wir auf einen tollen ESC, an dem auch alle in Person teilnehmen können!

ESC 2022: Die Big 5

Großbritannien: Sam Ryder - Space Man

Und hier lauert die größte Überraschung des gesamten Jahrgangs. Eigentlich haben wir alle gedacht, dass die Briten endgültig keinen Bock mehr auf den ESC haben, insbesondere nach der (ungerechtfertigten) Maximaldemütigung für James Newman letztes Jahr. Aber das hat sie dann wohl doch gewurmt. Jedenfalls wollen sie es dieses Jahr nochmal wissen. Sam Ryder sieht aus wie Jesus und singt wie ein Engel - heiliges Kanonenrohr, hat der eine Stimmgewalt und einen Tonumfang! Er singt davon, dass er ein Spaceman ist - da kommen mir Inszenierungsideen, gegen die die Choreo von Kate Miller-Heidke ein Killefitz ist. Bitte lasst ihn auf der Bühne fliegen, dann klappts auch mit den Punkten! Obwohl - das klappt auch so. Trotzdem. Den fliegenden Sessel aus dem Video, und Ihr habt uns. Also, noch mehr, als Ihr uns ohnehin schon habt.

Chancen auf die Top Ten? Ja. Und es wird UKs bestes Ergebnis seit 2009 werden.

Cardiff 2023? Da fragt Ihr mich was ... vielleicht.

9/10 (Kinder: 8-9 und 8-9)


Spanien: Chanel - SloMo

Wildes Mädchen, schüttel dein Haar für mich! Das hier ist 60% Fuego, 35% Loco Loco und ein winziger Spritzer "S.A.G.A.P.O." (dieses ge-echote Mo-Mo-Mo-Mo-Mo). Nachdem die Zyprer in diesem Jahr wieder zurück zu ihren Wurzeln sind, musste den Dance-Klopper des Jahres halt jemand anders übernehmen. Und immerhin: Chanel sieht toll aus, kann sich super auf der Bühne bewegen, hat keine Angst vor merkwürdigen gewagten Outfits - nur die Mähne müsste halt noch ein bisschen länger, um auch wirklich mit Eleni oder Hurricane mithalten zu können. Aber die Extensions sind ja schon erfunden. Das Lied ist genauso nichtig wie die anderen Lieder dieser Bauart und überzeugt mich beim ersten Hören ebensowenig wie die Vorgänger. Aber das kann sich ja noch ändern. Call me Spaßbremse. Glücklicherweise verlangt diese Art Lied keine stimmlichen Höchstleistungen.

Chancen auf die Top Ten? Sowas landet üblicherweise um Platz 15.

Zaragoza 2023? No.

4/10 (Kinder: 3 und 5)


Frankreich: Alvan & Ahez - Fulenn

Meine Damen, meine Herren, dürfen wir vorstellen: Unsere unangefochtene Nummer 1 in diesem Jahrgang! Mystisch. Verstörend. Spannend. Eine Sprache, die man sonst beim ESC nie hört (okay, außer dem völlig unterschätzten und unterbewerteten "Diwanit Bugale"). Druidensound meets Elektrofolk. Der außergewöhnlichste Beitrag des Jahrgangs. Macht da weiter, wo "Shum" aufgehört hat. Und wird hoffentlich mindestens genauso gut abschneiden. 

Chancen auf die Top Ten? Oui. Oui! OUI!

Brest 2023? Bitte. Gerne! Bin ich sofort dabei.

10/10 (Kinder: 10 und  9)


Deutschland: Malik Harris - Rockstars

Vom außergewöhnlichsten Sound zu einem Sound, der ... nun ja ... jetzt gar nicht mal so richtig außergewöhnlich ist. Im Grunde ist ja zu Malik alles gesagt. Er hatte beim VE das beste Gesamtpaket, er kann was, er sieht gut aus. Leider war das bekanntlich er Einäugige unter den Blinden, denn der Song kann halt nicht allzu viel. Musi wie "Teenage Life", Thematik wie "Rock'n Roll Kids" (wiewohl das heute eine ganz andere Bedeutung hat als 1994), das Einzige, was es dann wirklich nochmal rausreißen könnte, ist der Rap. Der mit Abstand das Beste am ganzen Song. Natürlich drücken wir Malik die Daumen, er hätte es wirklich verdient, dass er gut abschneidet. An ein gutes Ergebnis glaubt von uns indes niemand. Bitte, lieber Malik, komm gern wieder, aber dann bring einen gescheiten Song mit!

Chancen auf die Top Ten? Keine. Kann froh sein, wenn er die Top 20 knackt.

Hamburg 2023? Da werden sie wieder hinter ihren Türen sitzen und mauscheln. Und uns ärgern und aufregen. Kohle für einen ESC müssen sie nicht locker machen.

6/10 (Kinder: 5 und 6)


Italien: Mahmood & Blanco - Brividi

Man kann sich nicht in der ESC-Bubble bewegen, ohne im Vorfeld den Hype über den italienischen Beitrag mitbekommen zu haben. Natürlich waren unsere Erwartungen deshalb astronomisch. Es ist Mahmood! Alle finden es toll! Italienische Sprache! Gänsehautgarantie! Ballade mit einigen schnellen Einsprengseln! Das muss doch toll sein! Oder?
Oder. Lieber Consi, lass Dir sagen, Du bist nicht allein. Natürlich ist Brividi im Vergleich zum restlichen Feld immer noch herausragend gut und wird auch sicher ganz vorne mitspielen, zumal der Beitrag auch irre viele Fans hat. Die beiden machen das super, und vor allem die zweistimmig gesungenen Stellen sind wirklich eine Klasse für sich. Aber irgendwann sprach es einer von uns aus: "Soldi war besser". Ja, Soldi war viel besser, weil dieses rotzig-wütende unserer Meinung nach viel besser zu Mahmood passt. Vielleicht bin ich auch einfach nur langsam alt und konservativ. 

Chancen auf die Top Ten? Brauchen wir nicht drüber reden. Ja, ohne Wenn und Aber.

San Remo 2023? Ja. Trotz der Zweifel im Hause Fabian sehr ernsthafter Siegesaspirant.

8/10 (Kinder: 7 und 7-8)

ESC 2022: Zweite Hälfte der zweiten Hälfte des zweiten Semis

Polen: Ochman - River

Dampfende Pauken! Das hab ich auch noch nie gesehen! Hübsche Idee, bitte beibehalten. Das hier fängt ganz langsam an, catcht einen dann aber direkt zweimal. Das erste Mal ist, wenn Ochman anfängt zu singen. Hat der Junge eine tolle Stimme! Okay, die von Stefan aus Estland finde ich noch einen Ticken besser, aber Ochman hats drauf, keine Frage. Das ist immer für ein paar Bonuspunkte gut. Und damit das Ganze dann auch wirklich nicht Gefahr läuft, ins Langweilige abzugleiten und in der Masse zu verschwimmen, kommt dann etwas später als zweiter Catcher der Dubstep. Doch, das ist gut. Das gefällt. Das darf so bleiben.

Chancen aufs Finale? Die tolle Stimme, die Dampfpauken und die verheißungsvolle Startnummer 14 sollten das nicht unmöglich machen.

Warschau 2023? Das dann doch nicht.

8/10 (Kinder: 8,5 und 6-7)


Rumänien: WRS - Llámame

So, das musste ich jetzt erstmal nachgucken: Der Typ heißt WRS (von Urs wie Ursu, das ist sein Nachname), nicht die ganze Truppe. Alles klar. Mit einer Mixtur aus englischen Strophen und anderssprachigem Refrain hat Rumänien ja schon seine Erfahrungen gemacht und dabei brauchbar ("Zaleilah",2012) bis sehr gut (das geniale "Tornerò" anno 2006) abgeschnitten. Ob es in diesem Jahr auch dafür reicht, wage ich leise zu bezweifeln - wiewohl der Refrain und insbesondere der Instrumentalteil danach richtig gut ins Ohr gehen. Zu den Klamotten der Tänzerinnen und Tänzer nur so viel: Schade, dass der Barbara-Dex-Award abgeschafft wurde. Sie hätten gute Chancen gehabt!

Chancen aufs Finale? Sowas geht eigentlich immer.

Bukarest 2023? Nope. And rightly so.

6/10 (Kinder: 4 und 4-5)


Schweden: Cornelia Jakobs - Hold Me Closer

Schweden erfindet auch in diesem Jahr wieder das Rad nicht neu. Wieder eine Trennungsschmerz-Ballade (die wievielte eigentlich in diesem Jahr?). Und Strassketten noch und nöcher, dieses Mal am Oberteil. Na ja, wenigstens nicht im Gesicht. Das Lied ist so ein typisches Da-geb-ich-sechs-Punkte-Ding, will sagen, das ist eigentlich ganz okay, aber mehr auch nicht. Aber die Schweden wissen, wie sowas auf die Bühne zu bringen ist, und vor allem hat Cornelia eine enorme Bühnenpräsenz. Diesbezüglich macht sie alle anderen in diesem Jahr nass. Was es ihr in Kombination mit dem eher durchschnittlichen Song bringt? We will see.

Chancen aufs Finale? Es ist Schweden!

Stockholm 2023? Ich glaub es zwar nicht wirklich, aber es wäre fahrlässig, Schweden nicht auf der Rechnung zu haben.

6/10 (Kinder: 6 und 6)


Tschechien: We Are Domi - Lights Off

Die Tschechen schließen nicht nur diese meine Besprechung dieses Semis ab, sondern später im Mai dann auch das Semi selbst. Und das ist gut so! Denn der Schreiberin dieser Zeilen sind aus den vergangenen 30 Halbfinals nur sechs Fälle bekannt, wo der letzte Starter des Semis nicht ins Finale kam. Allein die Startnummer liefert also schon mal eine 80%-Chance. Den Rest macht der Song. Das gefällt uns allen richtig gut. Irgendwie haben die Tschechen, wenn sie richtig gut sind (und das sind sie hier) immer was Einzigartiges, was man sonst von niemandem sieht. Das ist auch hier der Fall, auch wenn ich meinen Finger beim besten Willen nicht drauf legen kann, was es denn eigentlich ist. Aber genau das macht vielleicht ja auch gerade den Charme des Ganzen aus. Der Geigenbogen auf den Gitarrensaiten und die Spiele mit dem Licht tun ein übriges. Das wollen wir im Finale sehen!

Chancen aufs Finale? Oh ja, bitte, unbedingt!

Prag 2023? Das wohl dann doch eher nicht.

8/10 (Kinder: 9 und 7)


This completes the Besprechung of the zweite Semi. Ehrlich gesagt, alles in allem eine ziemlich zähe Sache, aber es gibt zum Glück doch den einen oder anderen Lichtblick. Mal sehen, wer kommt denn da ins Finale? Ich glaub, ich hab da so ungefähr jedem Chancen eingeräumt, weil halt alles so gleich ist. Es ist schon bezeichnend, dass irgendwann inmitten einer Hörsession die Kinder angefangen haben, sich hinter mir auf dem Sessel zu balgen (wir saßen zu dritt auf dem Sessel, wohlgemerkt!), weil sie sich so gelangweilt haben ...

Nun gut, gucken wir mal, wen wir auf der Weiterkommerliste haben, in order of appearance in the semi:

Finnland
Israel
Serbien
Aserbaidschan
San Marino
Australien
Zypern
Estland
Rumänien
Polen
Montenegro
Belgien
Schweden
Tschechien

Puh, 14 von 18. Dat is wat viel. Wen schmeißen wir denn da jetzt noch raus?

Aserbaidschan. Australien. Montenegro. Und Israel.

Makes, Stand jetzt, folgende Finalisten:

Finnland
Serbien
San Marino
Zypern
Estland
Rumänien
Polen
Belgien
Schweden
Tschechien

Und bestimmt werde ich das bis Mai noch zwölfundsiebzigmal umschmeißen.

Dienstag, 12. April 2022

ESC 2022: Erste Hälfte der zweiten Hälfte des zweiten Semis

Belgien: Jeremie Makiese - Miss You

Interessanter Sänger mit toller Stimmfarbe. Das Video bringt viele verschiedene Inszenierungsideen, aber eine sticht raus und sollte auch genau so auf die Bühne: An einigen Stellen hat er so eine rot-weiße Lederjacke an und tanzt mit ein paar schwarzgekleideten Tänzern auf der Straße / in einem Hinterhof / na ja, halt irgendwo draußen. Und genau so sollte man das machen! Und bitte keine langweilige Choreo, sonst zieht sich das Ganze zu sehr. Diese Pausen nach dem "Miss you" und anderen Stellen im Refrain sorgen dafür, dass das alles irgendwie sehr "schwer" und zäh wird. Trotz des schwermütigen Themas müssen die Belgier aufpassen, dass das nicht zu schwer und zu zäh wird, sonst verliert man die Voter unterwegs.

Chancen aufs Finale? Müsste eigentlich. Es sei denn, sie versemmeln die Inszenierung.

Brüssel 2023? Nein.

7/10 (Kinder: 5 und 7) 


Estland: Stefan - Hope

Die Esten überzeugen in diesem Jahr gleich in mehrfacher Hinsicht. Sie haben einen Westernsong (!!!!!) am Start. Man macht die Augen zu und ist sofort mitten im Wilden Westen. Man hört Geier kreischen, sieht Kakteen wachsen, fängt mit dem Lasso ausgebrochene Pferde ein und tanzt mit Wölfen und Tatankas. Und hofft, genau darum geht es nämlich in dem Song. Und was brauchen wir im Moment mehr als Hoffnung? Ganz nebenbei haben die Esten nicht nur den schönsten Mann des Jahrgangs am Start, sondern auch die schönste Männerstimme. We like a lot!

Chancen aufs Finale? I hope, I hope, I hope! Es ist so ungewöhnlich, das kann total in die Hose gehen oder aber richtig toll werden.

Tallinn 2023? Nein, aber vielleicht gute Finalplatzierung?

8/10 (Kinder:  7-8 und 8)


Irland: Brooke - That's Rich

Nach ihrer einzigartigen Erfolgssträhne in den 90ern sind die Iren ja bekanntlich in den letzten 20 Jahren ziemlich eingebrochen. In den letzten 20 Jahren gab es lediglich 9 Finalteilnahmen (davon nur eine seit 2014) mit gerade mal zwei Top-Ten-Plätzen in 2006 (eine dermaßen begnadete Stimme kriegst du auch mit dem langweiligsten Song und der fragwürdigsten Optik nicht kaputt) und 2011 (hier das genaue Gegenteil, hat halt einfach einen Mordsspaß gemacht!). Danach kam nur noch sehr wenig. Deshalb probieren sie es in diesem Jahr mit - Disco. Oh-kaaaay ... Entweder man liebts oder man wendet sich ab mit Grausen. Wir tendieren im Moment zu letzterem, zumal bei Brooke mein Carcrash-Alarm dunkelrot leuchtet. Bin gespannt (und skeptisch), ob sie das live wirklich hinbekommt.

Chancen aufs Finale? Meint Ihr? Meint Ihr ernsthaft??

Dublin 2023? Na ja, sie hatten ja in den letzten 25 Jahren genug Zeit, um dafür zu sparen. Aber: Nee.

3/10 (Kinder: 3 und 4)


Montenegro: Vladana - Breathe

Das hier ist einer der wenigen Songs, wo wir uns nicht einig waren. Die Kinder fanden es langweilig und deprimierend, aber mich hat es gepackt. Wenn man weiß, dass Vladanas Mutter an Covid gestorben ist und sie das Lied aufgrund dieser Erfahrung geschrieben hat, dann bekommt der Text eine unglaubliche Intensität, die vermutlich viele in Europa nachfühlen können - wie viele von uns haben Freunde oder Verwandte an dieses verdammte Virus verloren? Vladana hat eine tolle Stimme und kann das sehr kompetent performen, und wenn das richtig und nicht zu übertrieben inszeniert wird, wird es die Leute auch berühren.

Chancen aufs Finale? Wie gesagt: Eine gute Inszenierung sollte Montenegros dritten Finaleinzug nicht unmöglich machen.

Podgorica 2023? Nein, aber möglicherweise das beste Ergebnis fürs Land bisher.

7/10 (Kinder: 5 und 4)


Nordmazedonien: Andrea - Circles

Wow, die hat aber mal eine richtig schöne Stimme! Das dürfte wohl auch das größte Plus an diesem Beitrag sein, der Song selbst ist leider ziemlich dröge. Es geht wie bei so vielen anderen (dazu nachher mehr) um eine gescheiterte Beziehung. Dafür wird das bis zum Erbrechen ausgelutschte Bild bemüht, dass man sich nur im Kreis dreht bzw in selbigem rennt. Macht eine Choreographie-Idee daraus, dann haben wir wenigstens was zu lachen. Für Andrea-mit-den-lustigen-Zöpfen (bitte nicht auf der ESC-Bühne!) gibt es leider nix zu lachen. Wenn sie nicht eine Über-Über-Überdosis Gefühl in ihre Performance legt, hat das keine Chance aufs Finale. Und DAS richtig zu dosieren - au backe. Gebt ihr einen guten Song und eine anständige Frisur und lasst sie damit nochmal antreten, dann rockt die die Hütte!

Chancen aufs Finale? Keine. Siehe oben.

Skopje 2023? Ach, geh doch weg.

6/10 (Kinder: 5 und 5)

ESC 2022: Zweite Hälfte der ersten Hälfte des zweiten Semis

 Malta: Emma Muscat - I Am What I Am

"Bäääääm! Bäm bäm bääääääm! Bäm bäm bäääääm! Bäm bäm bäääm bäääm bäääm bäääm!
I am what I am 
And what I am needs no excuses ...
I deal my own deck
Sometimes the ace, sometimes the deuces ..."
Das wäre unser Preis gewesen. Stattdessen kriegen wir die Niete. 
Höheres Töchterchen hockt im weißen Hosenanzug am Flügel und singt sich durch einen 4-Chord-Song. Sie ist, was sie ist, und wenn sie auf die Nase fällt, steht sie wieder auf. Aha. Um sie herum springen Menschen, die durch Rahmen schauen. Das wär doch mal ein toller Titel für einen neuen deutschen Problemfilm. "Menschen, die durch Rahmen schauen". Muss ich mir merken. Singen kann sie ganz gut, wiewohl Kind 2 unterstellt, dass man da ja wohl bei der Produktion nachgeholfen hätte und sie live wahrscheinlich nicht so gut klingen würde. Werden wir sehen. Den Unmut der Bubble hat sie sich ohnehin schon zugezogen, da sie kurz nach der maltesischen VE den Song ausgetauscht hat. Ich weiß nicht, wie der war, da ich nicht das geringste Bedürfnis verspüre, mir den auch noch anzuhören. Wenn er noch langweiliger war als das hier, wäre ich ohnehin eingeschlafen. Das Beste am Video ist noch der Flügel. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass man den in bester Verflixte-7-Nieten-Manier mit 10000 Tischtennisbällen gefüllt hätte. Hätte dem Song bestimmt gut getan. 
"Take it or leave it, I am what I am". I'm leaving.

Chancen aufs Finale? Ach, komm, so ein Samstagabend vor der Glotze ist doch auch was Schönes.

Valletta 2023? No no never!

3/10 (Kinder: 2 und 2)

(Funfact, und um in den Anfang ein bisschen ESC-Bezug reinzubringen: Gloria Gaynor ist am selben Tag geboren wie Lena Valaitis. Habt Ihr auch noch nicht gewusst, oder?)

    

San Marino: Achille Lauro - The Stripper

So, das Positive zuerst: San Marino hat zum ersten Mal in seinem Eurovisionsdasein eine VE gemacht. Das ist unbedingst zu begrüßen. Ebenfalls zu begrüßen ist der Radau in italienischer Sprache, von der ich allerdings trotz entsprechender Kenntnisse dieses Mal nicht allzu viel verstanden habe - ein Blick auf den Text verrät auch, warum das so ist: Es gibt jede Menge Einsprengsel in englischem Idiom, das der gute Lauro leider nicht akzentfrei beherrscht. Überhaupt, der Sänger. Optisch soll das wohl wieder in die Glamrockrichtung gehen, ist aber eine absolute Zumutung. Sein Rumgefummel am / im Hosenbund soll wohl zeigen, dass er ein böser Junge ist. Bei mir erzeugt das in diesem Falle akuten Brechreiz. Und ob es so eine kluge Idee ist, sich nach einem faschistischen Politiker bzw. einem zuerst entführten und dann abgefackelten Kreuzfahrtschiff zu benennen?

Chancen aufs Finale? Fischt im gleichen Pool wie Finland. Aber die kommen zuerst. Vorteil Suomi. Aber wahrscheinlich schaffen sie es beide.

Serravalle 2023? Nein.

9 (für den Song) plus 1(für die Optik) und das Ganze geteilt durch 2 macht insgesamt 5/10 (Kinder:  5 und  6)


Serbien: Konstrakta - In Corpore Sano

Serbien liefert endlich mal wieder Klasse ab! Das hier ist ganz große Kunschd, das hört man auf den ersten Hör. Dabei kommt es, wenn ich jetzt nicht völlig daneben liege, sogar nur mit einem einzigen Akkord aus. Das heißt aber nicht, dass es langweilig wäre, au contraire. Konstrakta sitzt vor einer Waschschüssel, um sie herum stehen fünf Typen mit Handtüchern. Sie wäscht während des Liedes ausgiebig die Hände und trocknet sie dann gegen Ende ab. Soll das heißen, dass man sich immer schön die Hände waschen soll, um einen Corpore Sano zu behalten? Und was hat Meghan Markle, die in den ersten Zeilen erwähnt wird, damit zu tun? Keine schmutzige Wäsche waschen, sondern lieber Hände waschen? Das ist fürwahr Kunschd. Große Kunschd. Gute Kunschd!

Chancen aufs Finale? Wehe wenn nicht!

Belgrad 2023? Dafür ist es dann wohl doch zu speziell.

7/10 (Kinder: 7 und 6)


Zypern: Andromache - Ela

Wir haben ja in diesem Jahr schon viel zu viel Radioseich, da ist man für jeden froh, der keinen Radioseich bringt. Und auf die Hellenen ist da Verlass. Der Song hatte mich bereits bei dem zum Niederknien schmerzhaft-schönen Harfenintro am Anfang, und auch ohne das hört man sofort, wo das hier herkommt. Alles in allem ein wirklich schöner, eigenständiger Song mit einer kompetenten Sängerin. Einziger Wermutstropfen, der leider gleich richtig viel kaputt macht: Ein Großteil des Songs ist in englischer Sprache gesungen, ich hoffe, das überlegen sie sich nochmal. Der Anteil der Songs beim ESC, die auf englisch besser klingen als in der Landessprache, ist verschwindend gering. Konkret fällt mir da nur einer ein. Dieser ist es nicht. Bitte macht es komplett auf griechisch, dann klappt es auch mit einer guten Platzierung!

Chancen aufs Finale? Ich hoffe doch sehr!

Nikosia 2023? Ochi.

7/10 (Kinder: 6-7  und 6  - wir geben alle drei fett Abzug dafür, dass der Song nicht vollständig auf Griechisch gesungen wird)

ESC 2022: Erste Hälfte der ersten Hälfte des zweiten Semis

Liebe Freunde,

1000x Entschuldigung, dass wir hier so eine lange Pause gemacht haben - manchmal schlägt das Real Life zu, manchmal die Unlust, bei uns wars beides. But now we are back. Wir haben in den letzten Tagen den Rest vom Fest durchgehört, was, soviel darf ich schon mal verraten, weiß Gott nicht immer pläsierlich war. Nach erfolgter Notengebung kommen nun meine ausführlichen Eindrücke, und ich hoffe, Ihr habt Spaß beim Lesen.

Off we go!


Aserbaidschan: Nadir Rustamli - Fade To Black

Hab ich da ein Duduk gehört? Beziehungsweise das aserbaidschanische Pendant? Wenn ja, wäre das so ziemlich das einzige Eigenständige in diesem Beitrag, der ansonsten eine .... äh ... wie sag ich das jetzt nett? ... 1:1-Hommage an "Tout l'Universe" ist. Ja, is irgendwie schön, aber auch irgendwie sehr langweilig. Ach Azedaze. Wir würden ja so gern mal was von Eurer eigenen Kultur kennenlernen (über das Azeri-Duduk hinaus!), gern auch in Eurer eigenen Sprache. Aber an dem Tag, an dem Aserbaidschan mal was wirklich Eigenständiges zum ESC schickt, wird Buttermilch vom Himmel fallen, werden Milch und Honig fließen und die AfD sich sofort freiwillig auflösen. Das ist gewisslich wahr.

Chancen aufs Finale? Wahrscheinlich schon.

Baku 2023? Ach was.

5/10 (allerdings mit gewaltigem Schönhörpotenzial. Kinder: 3 und  5-)


Australien: Sheldon Riley - Not The Same

Australien entwickelt neuerdings ein Faible für die ganz große Extravaganza. Nach Montaigne jetzt Sheldon, der eine zugegebenermaßen herausragend gute Stimme hat, aber das Lied geht mir entschieden zu sehr ins Jammerige. Vor allem aber verstört mich die Optik auf allen möglichen denkbaren Ebenen. Fingernägel, für die Edward mit den Scherenhänden einen Mord begehen würde. Ein Tüllgebamsel, für das Conchita einen Mord begehen würde. Und ein Strassgebamsel vorm Gesicht, für das ich einen Mord begehen würde (allerdings würde ich das nicht vorm Gesicht tragen, sondern auseinanderbauen und zu was Vernünftigem verarbeiten, aber das nur nebenbei). Nervt das eigentlich nicht? Mich würd das nerven, allerdings lassen sich damit höggschd dramatische Choreo-Ideen umsetzen. Am Ende kommt das Strassgebamsel weg, und wir sehen einen gar nicht mal unhübschen Kerl mit Strasslidschatten (ach, schon wieder Strass!), der leider immer noch rumjammert. Ist bestimmt große Kunschd, aber uns erreicht das ja mal grad so gaaaar nicht.

Chancen aufs Finale? Knapp.

Somewhere in Europe 2023? Ja, schon. Aber bestimmt nicht, weil das hier gewonnen hat.

3/10 (Kinder: 3  und 3-4)


Finnland: The Rasmus - Jezebel

Ha, auf die Finnen ist doch Verlass! Endlich mal ein bisschen Radau inne Hütte. Der Song kann auch wirklich was. Sonst hängen sich ja immer alle an den Vorjahressieger dran, aber damit siehts in diesem Jahr verhältnismäßig mau aus. Da ist man als Fan von Radau fast jeder Couleur schon froh, wenn es überhaupt mal jemand macht. Apropos Couleur: The Rasmus are sponsored by UHU, Borussia Dortmund und der Biene Maja. Schwarzgelb aller Orten, sogar bei den Saiten des Basses. Da ist man konsequent. Optisch ist das eher die dunkle Saite, pardon, Seite von GlamRock, das fängt bei der Frise des Leadsängers an (Bienenfresserflügel? Irgendwie hängt doch alles mit allem zusammen) und hört beim Abwurf seines knallgelben Kunstpelzmantels noch lange nicht auf. Dass er da am Ende oberkörperfrei rumsteht, macht die Sache nicht besser, aber anscheinend muss das bei Glamrock so. Liebe Finnen, das üben wir bitte noch. Aber: Der Song ist gut.

Chancen aufs Finale? Ja, aber sischer dat! 

Helsinki 2023? Eher nicht so.

7/10 (Kinder: 6 und 6)


Georgien: Circus Mircus - Lock Me In

Hei jei jei, die kaukasische Wundertüte macht diesem Spitznamen mal wieder alle Ehre. Wenn sich ein Act schon "Circus Mircus" nennt, dann kann man ja auch Wunderdinge erwarten kann. Wie genau die aussehen, wissen wir allerdings noch nicht, denn die Truppe hat aus Protest gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine ihr offizielles Video rausgenommen und den "Video unavailable"-Bildschirm mit dem Text "This artist condemns russia's invasion of Ukraine" versehen. Musikalisch ist das auf jeden Fall wieder Wundertüte aus der Reihe "Wie packe ich möglichst viele Akkorde in einen Song?". Leider fehlt dem Ganzen komplett die Struktur. Ich fürchte, das schneidet so ab wie die beiden anderen Akkordwundertüten-Songs von 2014 und 2018. (Immer im Vier-Jahres-Takt? Zufall?)

Chancen aufs Finale? Siehe oben. Es sei denn, die Performance ist ein derartiger Burner, dass man nicht anders kann, als dafür abzustimmen. Am Song wird es aber nicht liegen.

Tbilisi 2023? Öh ... wie meinen bitte?

5/10 (Kinder: 3-4 und 4)


Israel: Michael Ben David - I.M.

Ich frage mich, wie ich das Gesamtpaket wohl fände, wenn ich nur den akustischen Eindruck kennen würde. Wahrscheinlich besser. Das offizielle Video buhlt doch schon SEHR um die Kernzielgruppe es Wettbewerbs, zu der ich nun mal einfach schon qua Geschlecht nicht gehöre. Auf solche Art ausgeschlossen zu werden missfällt mir, und den Song mag ich auch nicht. Dennoch wünsche ich Michael nur das Beste, denn wie esckompakt heute vermeldete, wäre seine Teilnahme in Turin nach aktuellem Stand aufgrund eines Streiks im israelischen Außenministerium nicht möglich. Es gibt zwar das Backup-Tape, so dass Israel vermutlich dennoch teilnehmen könnte, aber das wünscht man keinem der Künstler. Ich hoffe für Michael, dass die Situation sich bis in drei Wochen so entspannt hat, dass er nach Turin reisen kann!

Chancen aufs Finale? Wahrscheinlich schon.

Tel Aviv 2023? Die waren doch erst da.

2/10 (Kinder: 5 und 2)