Sonntag, 13. Juni 2021

ESC 2021 - Nachlese: Plätze 23-26

 Ich habe lange überlegt, wie ich die Nachlese in diesem Jahr aufziehen soll. Es fällt mir nicht ganz so leicht wie sonst, weil es so unendlich viele Geschichten gibt und weil man denen gar nicht wirklich Rechnung tragen kann, wenn man die Beiträge einzeln betrachtet. Ich versuch es trotzdem.

Die Überschrift dieser Geschichte hier lautet: Televoter sind Wichser.


26. Vereinigtes Königreich - 0 Punkte

Jury: 0 Punkte (Platz 26)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt)

Ich gestehe, mir geht es wie Graham Norton. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Der Song ist ein ordentliches Stück Britpop, von dem sehr sympathischen Knuddelbär James kompetent vorgetragen. Okay, der Beitrag war jetzt nicht so, dass man sagen konnte, alles hat gestimmt. Far from it. Das Outfit war suboptimal, die Riesentröten hätte es nicht gebraucht, und auch die Schnelldurchlaufstelle hätte man etwas sorgfältiger wählen können - das gilt übrigens für alle vier Televoting-Nuller. Aber, verdammich, das rechtfertigt nicht die völlige Punktefreiheit in diesem Falle, so heftig war das doch nun wirklich nicht! James hat ordentlich abgeliefert, da gibt es wenig zu meckern! Und wisst Ihr was: Ich hoffe, dass er aus dieser WC-Hygiene jetzt mindestens genauso viel macht wie weiland Jahn Teigen (bei dem ich die Null im Gegensatz zu James absolut verstehen konnte!)!

Eins noch: Könnte mir bitte irgendjemand in leicht verständlichen Worten erklären, warum James aus Polen keine Jurypunkte bekommen hat? Hier ist die Tabelle mit den aufgedröselten Jurypunkten. Der Durchschnittsrang für James ist klar besser als der für die Russin, die einen Punkt bekommen hat. Please explain.


25. Deutschland - 3 Punkte

Jury: 3 Punkte (Platz 25)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt).

I just feel sorry.

Hier war ich überrascht über die Jurypunkte, ich hab eigentlich fest mit einer brettharten Null gerechnet. Denn mal ehrlich: Das hier war Dorfverein in der Champions League. Eddie Edwards bei den Olympischen Spielen in Calgary. Hauptsache dabei gewesen. Nur: Bei Olympia mag das noch angehen, beim ESC nicht. Aber das ist eine andere Geschichte und soll in einem anderen Beitrag erzählt werden. Zum Auftritt nur dies: Man wusste aus den Proben, dass das eine enge Kiste wird. Es war nicht ganz so schlecht wie erwartet, aber läääängst nicht auf dem Niveau wie die Mitbewerber. Jendrik war bereits vor der ersten Strophe aus der Puste. Der Mittelfinger bzw die Dame darin (Sophia, glaub ich), wird sich einst fragen lassen müssen, welcher Teufel sie geritten hat, um sich freiwillig in dieses Ding schießen zu lassen. Und ja, da kann sie noch so oft den Arm ausstrecken, das war ein Mittelfinger! Immerhin bewies Jendrik, dass er Ukulelenweitwurf einwandfrei drauf hat. Ukulele. Ein Instrument, das ich nie wieder beim ESC sehen möchte, egal, ob mit Strass oder ohne. Aber wenn man ihnen das jetzt sagt, kommen sie nächstes Jahr alle mit Tenorhörnern um die Ecke. Lieber nicht. Der Background ging übrigens auch überhaupt nicht. Wer hat den zu verantworten? Ganz am Ende ein dickes "HATE", das zwar kaputtging, aber außer Stinkefinger und Beleidigungen nix gewesen. I don't feel hate. I just feel embarrassed.


24. Spanien - 6 Punkte

Jury: 6 Punkte (Platz 24)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt)

Uff. Bei Blas kann ich die Null im Televoting noch am ehesten nachvollziehen. Er war eigentlich derjenige, den ich auf dem letzten Platz erwartet habe. Hier stimmte leider so einiges nicht. Schlechteste Stelle im Schnelldurchlauf (wieder mal), Falsettgesänge, das Lied ist zwar schön, aber sehr langweilig, und wenn man nicht weiß, worum es geht (wovon ich bei 95% der Abstimmenden ausgehe), dann geht es links rein, rechts raus. Und wenn man weiß, worum es geht, wundert man sich, warum der Cantó ein Liebeslied für seine Oma singt, dass eigentlich eher einer Geliebten zu Gehör gebracht werden sollte. Anyway, DIESE Null kann ich einigermaßen unterschreiben. Riesige Monde als Props auf der Bühne gab es jetzt meiner Erinnerung nach zweimal: Bei Nathan Trent 2017 und hier bei Blas. In Summe haben die beiden null Punkte im Televoting kassiert. Wir lernen daraus: Keine Monde. Keine Ukulelen. Keine Riesentröten. Und, wie wir gleich sehen werden, keine Wörter, die ganz Europa zu Verhörern einladen.


23. Niederlande - 11 Punkte

Jury: 11 Punkte (Platz 23)
Televoting: 0 Punkte (Platz 23 geteilt)

Kommen wir nun zum letzten und meiner Meinung nach unglücklichsten der Televotingnuller. Auch hier natürlich wieder die Frage, woran es gelegen haben könnte. Bin noch unschlüssig. Der Song ist echt toll. Und es geht hier auch um etwas Größeres als eine Eurovisionsteilnahme. Der sanfte Revoluzzer hat denn auch ein paar Worte auf dem in Suriname gesprochenen Sranantongo in seinem Song gehabt. Leider ist das europäische Publikum zu blöd, sich die Worte "Yu no man broko mi" adäquat zu übersetzen und denkt dabei an was ganz Anderes. Leider half auch der Tänzer im roten Gewand nicht viel, und die Stelle im Schnelldurchlauf war auch falsch gewählt. Die choreographischen Mätzchen hatte der Song eigentlich nicht nötig, und vermutlich haben sie sich damit auch keinen Gefallen getan. Aber dennoch: Ein krass unverdientes Ergebnis für einen der besten Heimbeiträge der letzten Jahre!


Leider spricht die Statistik auch gegen unsere vier Jungs. Nix mit "immer knapp Elfter geworden" und so. Die Durchschnittsrankings beim Televoting sehen folgendermaßen aus:

Deutschland: 17,42; 33x in der TOP 20 (immerhin!)

Spanien: 22,95; fünfmal in der TOP 20

Niederlande: 23,21; viermal in der TOP 20

UK: 23,42; fünfmal in der TOP 20.

Bei einer anderen Zählweise hätte Jendrik noch am ehesten Punkte bekommen, aber bei den anderen war nichts drin. Insbesondere der arme Jeangu hatte keine Chance, sein bester (!) Rankingplatz war 18. Die Televoter wussten die Beiträge einfach so gar nicht zu schätzen.

Ich hab es schon gesagt, und ich sag es auch nochmal: Televoter sind Wichser. Okay, Jurys auch, aber Televoter in diesem Jahr eindeutig schlimmer. So eine Situation gab es noch nie. Wir haben hier gesessen und den Mund nicht mehr zugekriegt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals beim ESC so schockiert gewesen zu sein, zumal ich von den Nullen auch nur eine ansatzweise nachvollziehen kann. 

Was ich ganz, ganz schlimm fand: Jeder der vier wurde groß eingeblendet und musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Zum Glück gab es das Publikum in der Halle, dass alle unterstützt hat, sei es durch Applaus bei James Newman oder Unmutkundtuung bei Jeangu Macroy. Und diese Unterstützung haben alle verdient! Unsere vier Jungs, insbesondere der bedauernswerte James Newman, haben gerade die größte Demütigung kassiert, die man in der Unterhaltungsbranche kriegen kann. Vermutlich wird außer Gabriela Guncikova, Nathan Trent und den Sisters niemand nachvollziehen können, wie sie sich damit fühlen, aber die wurden allesamt wenigstens nicht eingeblendet. Bei James, Jendrik, Blas und Jeangu dagegen hielt die Kamera drauf. Kein Wunder, dass die beiden Erstgenannten blau wie die Haubitzen waren, bei den anderen beiden konnte ich das nicht erkennen. Ich habe in allen vier Fällen größten Respekt davor, mit wie viel Würde und Grandezza sie das Ergebnis angenommen haben. 

Und an alle, die jetzt wieder sagen, man möchte doch bitte in so einer Situation angemessen niedergeschlagen sein: Was sollen sie denn machen? Losheulen? Nein! Aufrechtgehn (pun intended) und sich dem ganzen trotzig entgegenstemmen, egal wie heftig man in die Fresse bekommt! Und deshalb: Ihr vier seid toll! Und Televoter sind Wichser! So! 

James, Jendrik, Blas und Jeangu: Ihr seid alle tolle Jungs, und ich hoffe und wünsche Euch, dass Ihr das gut verpackt!

7 Kommentare:

Maximilian hat gesagt…

Um die Verwirrung bzgl. des polnischen Jury-Votings zu klären: Seit 2018 zählt nicht mehr der Durchschnitt der fünf Jurymitglieder für die Rangfolge, stattdessen werden die höheren Platzierungen der einzelnen Jurymitglieder stärker gewichtet als hintere, um ein Herunterwerten eines Beitrags durch eine einzelne, stark negative Wertung eines Juroren zu verhindern bzw. allgemein Beiträge, die eher bei einzelnen Juroren hohe Platzierungen holen denen gegenüber zu bevorzugen, die bei allen im Mittelfeld landen.

Um etwas mehr ins Detail zu gehen: Irgendjemand im Internet hat mal die genaue Formel, die dafür verwendet wird, aufgedröselt. Jeder Beitrag erhält pro Juror 12*0,827^(-1) Punkte. Wer die meisten Punkte hat, landet oben.

Grob gerundet heißt das hier: Russland erhielt von Juror A ca. 8,2 P. (3. Platz), von Juror B ca. 3,17 P. (8. Platz) sowie etwa 0,27 P., 0,13 P. und 1,23 P. für die Plätze 21, 25 und 13. Mit den exakten Zahlen gerechnet landet man bei 13,0045201 Punkten.

Man sieht deutlich, dass der Unterschied zwischen Platz 13 und 25 sehr viel weniger ins Gewicht fällt als der zwischen schon Platz 3 und 8. Die niedrigen Wertungen ziehen Russland also kaum runter.

Auf der anderen Seite landet James durchgehend zwischen Platz 9 (ca. 2,63 P.) und Platz 16 (ca. 0,69 P.) und kommt im Ergebnis nur auf 8,461687259 Punkte. Es war also nicht einmal eng im Rennen um den letzten polnischen Jurypunkt.

Ich übernehme keine Gewähr für die Richtigkeit der ganzen Punktzahlen, zumal die ja davon abhängen, dass die Formel, die ich irgendwo im Internet mal dazu gefunden habe, auch stimmt (allerdings liefert sie zuverlässig für alle Jahrgänge mit diesem System die richtigen Ergebnisse, sodass ich davon ausgehe).

Ich hoffe, das war einigermaßen verständlich und ich langweile hier nicht mit den ganzen Detailrechnungen :)

Tamara Fabian hat gesagt…

Ich bin studierte Mathematikerin, mich KANN man mit Detailrechnungen gar nicht langweilen :) Vielen vielen Dank für die ausführliche Erklärung. Damit kann ich das wunderbar nachvollziehen. Und ich finde es auch gut, dass es so gemacht wird, eben damit dieses unsägliche Runtervoten unterbunden wird. Tausend Dank!

Maximilian hat gesagt…

Ich sehe gerade, dass bei der Formel was nicht richtig dargestellt wird: Sie lautet 12*0,827^(x-1) und das x steht für die Platzierung des Beitrags bei dem jeweiligen Juroren. Ich hatte das vorher in diese Dreiecksklammern für die HTML-Tags gesetzt, was die Software offenbar nicht mag :)

Tamara Fabian hat gesagt…

Ah, danke! Ich glaub, ich geh dann bei Gelegenheit damit mal ein bisschen spielen.

Anonym hat gesagt…

Hi Tamara,

weiter geht´s. ;-)

Eine Frage: Braucht es das Wort "Wichser"?? Man kann Ergebnisse gut oder schlecht finden, aber ich finde dass klingt immer so nach beleidgter Leberwurst

Fühl dich bitte nicht angegriffen, ist nur meine persönliche Meinung.

UK: Also dass es tatsächlich eine doppelte Null geben würde hätte ich nicht gedacht, aber dass es wieder ein Desaster werden würde habe ich schon lange im Voraus geahnt. Ich konnte schon die sehr positiven Reaktionen bei der Veröffentlichung nicht so ganz nachvollziehen. Für mich ist "Embers" ein maximal "nettes" Liedchen, also etwas was man z.B. im Radio während der Autofahrt ganz gut anhören kann, welches aber schon nach kurzer Zeit wieder vergessen ist. Außerdem fand ich das ganze Paket einfach nicht authentisch. Ich war ja letztes Jahr kein Fan von "My Last Breath", aber dennoch war ich der Ansicht dass dieser Song viel besser zu James passt als dieser Dance-Track, zumal er schon im Video irgendwie "unbeholfen" wirkte.

Die Performance im Finale hat dann alle meine Vermutungen bestätigt. Er fühlte sich sichtlich unwohl, gesanglich war das besonders am Anfang auch richtig schief und ingesamt wirkte dass leider auch eher wie eine Karaoke-Performance auf einem Schulfest. Diese Tröten lasse ich mal lieber unkommentiert.

Ich hatte ja gedacht dass vielleicht die Jurys Punkte springen lassen würden, aber wenn die Performance im Juryfinale auch so war dann wundert mich die Null hier nicht wirklich. Im Televoting war es ja wie schon von dir erwähnt ein absolutes Desaster, selbst im "besten" Land Malta nur ein Rang 14 im Televoting, in ingesamt VIERZEHN Ländern sogar auf dem allerletzten Platz, u.a. in Frankreich, Italien, Schweiz, Portugal, Schweden usw.

Insgesamt musste UK die mal wieder die Erfahrung machen dass ein auf dem Papier "nettes" Lied beim ESC keine Punkte bringt, wir haben die Erfahrung ja auch schon öfter machen müssen.

Ich zolle James allerdings dennoch Respekt dass er die doppelte Null so gut weggestckt hat, wobei wir ja nicht wissen wie es in dem Moment in ihm ausgesehen hat. Ich würde ihn aber dennoch empfehlen sich eher auf Songwriting zu konzentrieren, im Rampenlicht auf der Bühne zu stehen scheint doch nicht so sein Ding zu sein.

Deutschland: Puh, weißt du ich mich nach der Veröffentlichung dieses Beitrags gefühlt habe?? Ich habe es mir angehört und konnte es nicht fassen dass dieser akustische und visuelle Angriff auf die Sinne ernsthaft "unser" Beitag für Rotterdam sein sollte, und dass angeblich mir einer Rekordpunktzahl. Schlimmer war noch dass man wenn man den Song kritisiert hat von vielen Fans als "Miespeter", "Meckerlise" oder auch schön als "Hater" bezeichnet wurde.

Zur Performance selber hast du schon alles geschrieben, das war wirklich die einzige im Finale wo ich nicht hinschauen konnte weil es mir einfach soo peinlich und unangenehm war.

Nach dem erwarteten miserablen Platz fühle ich wirklich sowas wie Genugtuung, auch wenn das vielleicht komisch klingt. Ich persönlich hoffe jedenfalls dass wir von Jendrik nichts mehr hören und sehen werden.

LG

ESC1994

Anonym hat gesagt…

Hi Tamara,

ich musste meinen Komentar in zwei Teile aufspalten da maximal 4096 Zeichen erlaubt sind und ich wohl etwas drüber lag.

Also geht es hier mit Spanien und den Niederlanden weiter. ;-)

Spanien: Ach je, Spanien. Ich würde ihnen einen Erfolg beim ESC soo gönnen, aber dass es auch dieses Jahr im Fiasko enden würde war Lichtjahre im Voraus absehbar.

Der Song ist einfach total öde gewesen und außerdem habe ich Blas diese Message dass er das angeblich für seine verstorbene Oma singt nicht abgekauft, da der Songtext wirklich klingt wie eine x-beliebige Liebesballade die man schon soo oft gehört hat. So hatte das ganze etwas sehr kalkuliertes um eventuelle Mitleidsstimen zu erhaschen. Die hohe Stimme und seine nicht besonders sympathische Ausstrahlung haben gemeinsam mit der Startposition dazu beigetragen dass der Song ins Nirgendwo gerauscht ist.

Den Sinn dieses Mondes habe ich ehrlich gesagt auch nicht verstanden. Du etwa??

Niederlande: Am ehesten tat es mir von den vier Nullern um Jeangu leid da ich ihn für einen sehr talentierten Musiker halte. Mit dem Song selber konnte ich persönlich leider gar nichts anfangen, was aber einfach daran liegt dass ich so gospelhafte Musik generell nicht so mag.

Dass der Song so abgeschmiert ist lag finde ich nicht daran dass die Zuschauer ein grünes Gemüse herausgehört haben sondern weil der Song zwar niemanden weh tut aber halt auch nicht zum Anrufen animiert.

Puh, war das eine Arbeit. Ich empfehle dir eine Tasse Kaffee dabei zu haben währen du es liest. ;-)

Viel Spaß!!

LG

ESC1994

Tamara Fabian hat gesagt…

Ach, das war doch schee.

Das W-Wort muss ich wohl mal erklären: Das ist eine Art Running Gag hier auf dem Blog, taucht immer wieder mal auf. Ich weiß nicht, ob das unser leider im Moment leise vor sich hinschweigender Flavio P. Valente war, der den Ausdruck zuerst gebracht hat, oder Oliver Rau von Aufrechtgehn.de. Ist auch egal.

Beleidigt ist zuviel gesagt, aber ich fand das wirklich unnötig grausam, und noch grausamer, da voll mit der Kamera draufzuhalten. Ob das sein muss? I doubt it. Ich empfehle Dir zum Thema, falls Du es noch nicht gelesen hast, das Buch "Null Punkte" von Tim Moore.