Sonntag, 13. Februar 2022

Und darum hack ich mein Radio klein

 Es gibt Länder, da ist es eine Wonne, ESC-Fan zu sein. Da hat man nicht die Wahl der Qual, sondern die Qual der Wahl. Da ist fast jeder Schuss ein Treffer, und selbst wenn es dann beim ESC nicht immer für Zählbares reicht, empört man sich ob dieser Tatsachen und nicht darüber, dass das ja eigentlich abzusehen war.

Und dann gibt es Länder, wo es nachhaltig den Charakter formt, ESC-Fan zu sein. 

Ich bin seit über 40 Jahren eingefleischter Fan dieser über alle Maßen wunderbaren Veranstaltung, und mein Charakter hat in den letzten Jahren einen Sixpack entwickelt, auf dem man Gemüse raspeln kann.

Seit drei Tagen tobt nun der Shitstorm gegen den NDR im Netz, ein Ende ist nicht abzusehen. Wir erinnern uns: Am Donnerstag gab der NDR die sechs Künstler und Songs bekannt, die am 4.3. die deutsche Vorentscheidung bestreiten dürfen. Nicht dabei: Die allgemein hoch favorisierte Metalcore-Band Eskimo Callboy, die zwei Songs im Rennen und ihre Bewerbung im Gegensatz zu den meisten anderen öffentlich gemacht hatte. Der NDR indes fuhr die Schiene, dass die auszuwählenden Songs auch im Radio gut anzukommen hätten. Böser Fehler, wissen wir doch alle, dass man radiotaugliche Songs auch mit "da rein, da raus" kategorisieren könnte. Mit anderen Worten: Die Songs der bedauernswerten Auswahlgewinner (dazu gleich mehr), sind zwar (fast) alle ganz nett, aber genau durch diese Durchhörbarkeit beim besten Willen nicht für den ESC geeignet. Nun, NDR-Programmdirektor Frank Beckmann hat ja schließlich auch die Devise ausgegeben (O-Ton): "Hauptsache nicht Erster." Werter Herr Beckmann, DARUM müssen Sie sich absolut keine Sorgen machen.

Sorgen und ihrer Wut Luft machen sich aber die Fans. Seit Donnerstag gibt es eine Petition, die eine Wildcard für Eskimo Callboy fordert und Stand jetzt gerade fast 80000 Unterschriften hat. Natürlich gibt der NDR dieser Petition zu diesem Zeitpunkt nicht nach. Die wunderbaren Blogger von ESC kompakt haben diesbezüglich nachgefragt und ein entsprechendes Statement vom NDR bekommen. 

Folgendes geht dabei in mir vor:

1. Im Statement heißt es am Ende: "Und nun lasst uns die sechs Künstlerinnen und Künstler, die in den Wettbewerb um das ESC-Ticket gehen, mit aller Kraft unterstützen!“ Ah ja, lieber NDR. Das hat ja in den letzten Jahren immer super geklappt. Die Leute waren mehr oder weniger auf verlorenem Posten (Michael Schulte mal ausgenommen, aber der hat seine Vorstellungen meines Wissens auch mehr oder weniger im Alleingang umgesetzt und dabei ein glückliches Händchen bewiesen), im Gegenteil, Ihr wart ja sogar froh, wenn die Künstler schon eine Idee für ein Konzept hatten und habt das dann 1:1 übernommen. Bloß keine Hilfe, das kann der diesbezüglich komplett unerfahrene Jendrik schon allein. Und wenn er sich nach seinem vorletzten Platz mit null Televoting-Punkten die Kante und in dem Zustand dann auch noch Interviews gibt, ist das natürlich vollkommen okay. Die deutsche ESC-Geschichte hat mit dieser Sache den Nadir noch längst nicht erreicht, schlimmer geht immer. Ich weiß nicht, ob ausgelotet werden soll, wie viel schlimmer, aber in der Haut der Vorentscheidungsteilnehmer und vor allem dann des Siegers möchte ich nicht stecken.

2. Der NDR kann natürlich machen, was er will. Er kann auch den Vorentscheid canceln und Barbara Schöneberger per Direktnominierung mit einer Maxi-Version von "Wer hat die schönsten Schäfchen" nach Turin schicken. Wir haben weder Anspruch auf einen Vorentscheid noch darauf, dass der nach unseren Wünschen durchgeführt wird. Wir haben aber das Recht, die Art und Weise, wie der NDR seit Jahren die deutsche Teilnahme an der größten Fernsehshow der Welt vor die Wand fährt, zum Kotzen zu finden, darunter zu leiden und unserem Frust und unserer Wut auch Ausdruck zu geben. Der NDR hat keinen Anspruch auf unsere Zustimmung für den Mist, den er da seit Jahren verzapft!

3. Die Wut richtet sich gegen den NDR, nicht gegen die sechs ausgewählten Künstler. Die tun mir persönlich wahnsinnig leid. Sie können bei der Sache nur verlieren. Ihre Lieder sind fast alle ganz okay, aber eben durch die Bank nicht ESC-tauglich, aber das ist nicht ihnen anzulasten, sie haben das getan, wozu sie aufgefordert wurden (wie übrigens seinerzeit auch Jendrik!). Die groß angekündigte Rotation im Radio besteht daraus, dass jeder Song sage und schreibe einmal in 24 Stunden gespielt wird. So generiert man Hits. Nicht. Ich drücke allen Sechsen die Daumen, dass sich daraus was Gutes entwickeln kann und sie vielleicht sogar ein gutes Staging und so weiter bekommen (vielleicht regnets auch eines Tages Buttermilch), aber ich bin sehr, sehr pessimistisch.

4. Ja, es gibt im Moment einige, die ihren Frust in nicht sehr wohlgesetzten Worten rauslassen. Der überwiegende Teil stürzt sich aber dabei auf die haarsträubenden Fehlentscheidungen des NDR (WER hat die Radiosender reingelassen? WER?). Diese Äußerungen als "Hatespeech" oder "Rumgemotze" zu geißeln, ist meiner Meinung nach unterirdisch. Viele (ich auch), sind seit vielen, vielen Jahren ESC-Fans, mit Herzblut und Engangement dabei, und wir leiden, wie gesagt, auch dieses Jahr mal wieder wie die Hunde. Wir lieben diese Veranstaltung und wir wollen, dass unser Land gut und würdig in derselben vertreten wird! Wenn das Jahr für Jahr mit Füßen getreten wird und uns statt der angekündigten Diversität mal wieder nur sechsmal seichter Radiopop serviert wird, der ja in der Vergangenheit auch schon soooo erfolgreich war, und zwar sowohl beim ESC als auch im Radio, dann sind wir frustriert und wütend und wir haben auch jedes Recht, das dann mal rauszulassen! Wer darf denn da wütend sein, wenn nicht wir Fans? 

5. Ich frage mich, was passieren würde, wenn die gesamte Truppe nach der VE den Kümmert machen würde. 

6. Wie gründet man eigentlich einen Fernsehsender?

1 Kommentar:

Sixtus hat gesagt…

Wow, das nenne ich einmal ein Statement.
Das unterschreibe ich 1:1

Übrigens: Barbara Schöneberger mit "Wer hat die schönsten Schäfchen" würde ich sofort unterstützen.

Grüße aus Österreich