Donnerstag, 10. März 2011

Aus der Reihe: Was uns vorenthalten wurde. 2011er-Spezialausgabe Teil 2

Weiter geht es mit dem Trauerspiel der 2011er Vorentscheide:


Estland ist immer wieder gut für einen Griff in den Vorenthaltungs-Fundus. Es ist immer wieder erstaunlich, wie das Land, das gerade mal so viele Einwohner hat wie Hamburg oder die Steiermark, mal eben so 20 gute bis sehr gute Beiträge, die auch in den seltensten Fällen so klingen, als wären sie eigens für die Eurovision komponiert worden, aus dem Ärmel schütteln kann. Jeder der zehn Finalisten im Finale des Eestilaul wäre durchaus würdig gewesen, den kleinsten Baltenstaat in Düsseldorf zu vertreten, und für andere Länder ohne musikalische Begabung wie Aserbaidschan wäre selbst ein estnischer Letztplazierter noch Gold wert. Leider jedoch neigen die Esten dazu, aus dem Überangebot polarisierender Beiträge nur die kleine Schwester vom Stuhlgang zu wählen, so auch heuer. Getter Jaani kommt bei ihrem Lied über die imaginäre „Rockefeller Street“ rasch aus der Puste und daß der Titel bei den Wettquoten so gut liegt, mag nicht zuletzt daran liegen, daß er von Sven Lõhmus komponiert wurde, dem die Esten den Überraschungserfolg mit „Rändajad“ in Moskau verdanken – aber eben auch das Semi-Aus im Jahre 2005, als fünf frisch-fröhlich pubertierende Haarwuschbomben irgendwas vom Lautwerden trällerten. Doch zurück zum Heute: Zuvor nahezu unbeachtet sah sich plötzlich nach der Abgabe der Jury-Voten ein dicker, leicht bärtiger Mann mit Gitarre und schütterem Haar auf Platz eins und als Anwärter sowohl auf das Super-Finale als auch auf die Fahrkarte nach Düsseldorf: Jaan Pehk alias Orelipoiss sang unspektakulär seinen „Valss“ (Walzer) und ließ dazu Melodie-Passagen auf Gras blasen, das auch noch auf offener Bühne gegossen wurde. Jedoch fand er beim Publikum nicht ganz so viel Zustimmung und mußte den Outloudz den Vortritt lassen, wo ein schmächtiger Bläßling jammernd davon sang, daß er mal Bob Dylan treffen wolle, wenn er alt und grau sei (also der Schmächtling, Dylan ist es ja schon), sowie der schließlichen Siegerin Getter Jaani. Wer mal sehen möchte, wie estnisches Gras live auf der Bühne gegossen wird, möge den Startknopf drücken:



In Finnland muß der Schock über das letztjährige Semi-Aus (das nur den vermaledeiten Masturbanten von Juries zu verdanken war) noch tief sitzen; jedenfalls erreichte das Niveau der heurigen Vorentscheidung bei weitem nicht das der letzten Jahre. Zwar immer noch besser als in Norwegen oder gar Schweden, aber so was sollte für Finnen auch kein Maßstab sein. Daß sie aber gleich wieder zu den bejammernswerten Tiefen der Prä-Lordi-Ära zurücksinken, sollte uns doch arg zu denken geben: Das bleichsüchtige Pfannkuchengesicht Paradise Oskar gibt uns den alles und nichts sagenden Titel „Da da dam“ (Dideldum) zum Besten. Boshafte Zeitgenossen sehen hier eine schlechte Kopie des letztjährigen belgischen Beitrages, Realisten jedoch eher jemanden, der sich mit seinen gefühlten dreizehneinhalb Jahren für zu alt für den Junior-ESC hält und auch mal einen richtig fiesen Schnulzenquark in der Allerweltssprache Englisch für die Großen auf der Gitarre klampfen möchte.
Interessant war heuer eigentlich nur, daß Finnland vor genau 50 Jahren zum ersten Mal die ESC-Bühne betrat und just Milana Mišić, die Tochter der ersten Teilnehmerin Laila Kinnunen († 2000), am Vorentscheid mittat. Ihr Beitrag „Sydämeni kaksi maata“ (Die zwei Länder meines Herzens) war dann auch folglich eine Mixtur aus orientalisch anmutenden Akkorden und mediterranem Schlager zu finnischer Zunge. Leider mutierte die allzu statisch agierende Milana während der Live-Darbietung zur Stiefelleder-Staksi-Mama, die auch ein Tanzpärchen nicht retten konnte. Dazu die Mode in Farben wie frisch aus Andorra importiert. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, klicke auf den Startknopf:



Man kann Georgien beim Grand Brie so einiges vorwerfen, jedoch eines nicht: Daß ein einmal ausgewähltes Erfolgsrezept bis zum Erbrechen durchgekaut wird. So bescherte uns Sopho I. in Helsinki zu altertümlichen Schwerttänzern hochmoderne Elektroklänge und führte Puck die Stubenfliege (alias Diana Gurtskaja) sogleich ins Jammertal mit einer ekelerregenden Friedensschnulze, die selbst Siegel und Dr. Mabuse Meinunger sich die Haare hätte raufen lassen. Im Jahre darauf provozierte man mit einem wenig geschickten Putin-put in-Wortspiel (da auch noch fremder Menschen Sprachen reinzuziehen, pfui Spinne!) den eigenen Rückzug, doch sogleich wetzte Sopho II. die Scharte aus und wies uns mit ihren Akrobatik-Einlagen ihre Stimmfestigkeit, worüber das schwache Lied in Vergessenheit geriet. Heuer wurde dann Sopho III., die eigentlich nach georgischer Logik erst 2013 drangewesen wäre, vorgezogen, die sogleich die Frontsängerin der siegreichen Gruppe Eldrine, Tako, ersetzte. „One More Day“, klingt auch sogleich weniger rotzig, aber wenigstens scheint Sopho III. Töne zu treffen, was Tako aufgrund irgendwelcher Stimmbandscheibenvorfälle während des Vorentscheids nicht glückte.
Durchaus die Töne hingegen traf einer der beiden Interpreten, die nicht auf Englisch, sondern Georgisch sangen: Der wie ein Bankangestellter mit Anzug und Krawatte auftretende Temo Sajaia sang sein eigentlich recht flottes Lied „Jarisk’atsis simghera“ (Soldatenlied) zwar nahezu perfekt, aber gleichzeitig doch recht steril. Auf welchem Platz er landete, ist nicht bekannt, da das georgische Fernsehen nur den Sieger bekanntgab, aber es wäre doch interessant, wenn Georgien sich einmal traute, in seiner eigenen Sprache zu singen. Wer hören möchte, wie das klingt, möge auf den Startknopf drücken:

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