Montag, 12. April 2021

Die Eurovisionsklasse 2021, Teil 10

Deutschland: Jendrik – I don’t feel hate

Wir machen jetzt alle mal die Augen zu und stellen uns einen Weihnachtsbaum vor. Ja, ich weiß, es passt nicht zur Jahreszeit, aber wir machen das jetzt trotzdem. An dem Baum hängen viele schöne bunte Kugeln in allen Farben, die der Pantone-Katalog hergibt. Und Lametta! Lametta darf nicht fehlen! Irisierendes Lametta natürlich. Viel irisierendes Lametta. Strooohsterne! Von führenden Kindergartenkindern gebastelt. Alle Baumfiguren, die auf den Weihnachtsmärkten der zehn größten deutschen Städte zu finden waren. Aus Holz, Plastik, Glas, was weiß ich noch. Girlanden brauchen wir auch noch, genau wie künstlichen Schnee. Aber halt, der Baum leuchtet ja noch gar nicht! Da machen wir ein paar schöne Wachskerzen drauf. Und LED-Ketten in bunt. Und in weiß. Und in rosa. Und Wunderkerzen!

Falls sich irgendjemand fragen sollte, was diese Assoziation mit dem deutschen Beitrag zu tun hat: Schau Dir doch bitte mal das Video an, und dann stell die Frage nochmal. Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die das Video gesehen haben, die Frage nicht stellen.

Ja, es ist too much of everything, alles so schön bunt hier. Aber wisst Ihr was: Scheißegal. Wer diesen Blog aufmerksam verfolgt, wird von mir schon öfter die Forderung an den NDR gelesen haben, sich doch bitte mal was zu trauen und lieber mit Grandezza auf die Fresse zu fliegen als mit Langeweile.

Und anscheinend liest der NDR hier mit, denn zu meiner großen Freude schickt Deutschland diesem Jahr ein Beitrag, bei dem das Polarimeter durch die Decke geht. Entweder man fährt darauf ab wie ein Zäpfchen, oder man hält keine zwanzig Sekunden durch. Dazwischen gibt es relativ wenig.

Ich gebe ganz ehrlich zu, ich gehöre zur keine-zwanzig-Sekunden-Fraktion. Es ist einfach zu viel von allem, zu bunt, zu hibbelig, zu – alles. Vielleicht bin ich inzwischen auch einfach zu alt für sowas. Aber das spielt alles keine Rolle. Jendrik ist ein supersympathischer Flummi, der was ganz Eigenes hat, was kann, dieses Können auch zeigen will und obendrein noch ein Eurovisionista ist. Dazu kommt das Thema seines Songs: »I don‹t feel hate, I just feel sorry« – leider immer noch relevant und immer relevanter werdend, wenn auch der Text stellenweise genauso überdreht ist wie der Sänger selbst. Die Botschaft bleibt dennoch eine wichtige. Dass das Ganze in musikalisch eine nicht zwingend geglückte Symbiose aus den Songs von Aarzemnieki, Gianluca Bezzina und Alf Poier ist – geschenkt. Es wird auffallen, und das ist das, was wir in den letzten Jahren nicht geschafft haben!

Und deshalb, liebe Freunde, beglückwünsche ich den NDR ausdrücklich zu dieser Entscheidung, rolle für unseren supersympathischen Jendrik den roten Teppich aus, drücke ihm alle Daumen und hoffe, dass er viel, viel besser abschneidet, als die Bubble das derzeit glaubt. Auf jeden Fall wünsche ich ihm in Rotterdam eine supergeile Zeit, egal wie das Ganze ausgeht!

Chancen auf die Top Ten: Mach eine solide Top 15 daraus, und wir können drüber reden. Da man nur für und nicht gegen einen Beitrag anrufen kann, wird es besser abschneiden, als alle denken, zumal das ein Beitrag ist, den man inszeniert sehen muss. Bottom 5 wirds auf keinen Fall, und wenn doch: Egal!

Stuttgart 2022: Dort wird dann auch wieder von meinereinen die Eurovisionsklasse getestet. Schleyer-Halle und Porsche-Arena können allerdings weiterhin für andere Dinge gebucht werden.

6/10


Keine Kommentare: